Article by Uma Baar

Alexandra Schwarz Schilling: Wie sind wir eigentlich im Patriarchat gelandet?

Bevor wir uns der Neugeburt widmen, müssen wir uns dem Status quo annähern. Was ist das TheWildGoldenEgg. Was ist das Patriarchat eigentlich genau? Wie sind wir alle in History/His-Story gelandet und warum Her-Story unerzählt? Was hat all das mit Viehzucht zu tun und was hat die weibliche Sexualität mit dem konstruierten System Patriarchat zu tun?

Die Patriarchatsforscherin Alexandra Schwarz-Schilling deckt für uns die Entstehungsgeschichte des Patriarchats auf und führt uns auf eine Reise vom Beginn der Menschheitsgeschichte bis zur heutigen Zeit. Mitgefühl für uns alle vorausgesetzt!

 

Das Patriarchat als System prägt unsere Gesellschaft. Die Zivilisation in der wir leben hat ein Männerbild gefordert, das mit Selbstverleugnung, kürzerer Lebenserwartung und Vernachlässigung von Körper und Seele einhergeht. Frauen im Patriarchat leben nicht nur gefährlich, sondern müssen schon früh lernen, was es wirklich bedeutet in Österreich eine Frau zu sein, spätestens beim Eintritt in die Pubertät, in der die erste Initiation folgt. Wörter wie Misogynie und Feminismus soll man besser nicht zu oft sagen und auch sonst irritiert man das Patriarchat besser nicht. Das Patriarchat hat aber kein Geschlecht. Es ist in uns allen. Es ist ein gelerntes System, ein soziales Konstrukt, das uns in enge Korsetts, entmenschlichte Verhaltensweisen und gelernte Denkmuster der Trennung, Spaltung und Wertung zwingt. Es sitzt in unserem Kopf, in jedem Gedanken, in der Sprache sowieso und in unseren Handlungen. Um dieses System zu begreifen, muss man es von Grund auf betrachten lernen.

YouTube

Mit dem Laden des Videos stimmen Sie der Datenschutzerklärung von YouTube zu.
Mehr erfahren

Video laden

Was war vor dem Patriarchat?

Die Menschheitsgeschichte ist ungefähr 300.000 Jahre alt. Das Patriarchat als Konstrukt gibt es allerdings seit zirka 7.000 Jahren. Damit ist das Patriarchat also ein sehr junges Konzept in Relation zur gesamten Menschheitsgeschichte. Hier stellt sich die Frage, welche Strukturen es davor gab? Schwarz-Schilling beschreibt die Vorgeschichte im Interview mit TWGE: „Vor dem Patriarchat lebten die Menschen eher in egalitären Gesellschaften. Es war auch keine matriarchale Zeit, in Sinne von Herrschaft. In dem Wort Herrschaft kommt ja schon der Herr vor. Das Wort Patriarchat bedeutet Herrschaft der Väter, nicht Herrschaft des Mannes. Es war kein Matriarchat im Sinne von, dass die Mütter geherrscht hätten. Ich spreche immer von matrilinearen oder martrifokalen Gesellschaften, die sich eben über die mütterliche Ahnenfolge ihre Identität gewonnen haben.“

Als wichtigen Unterschied zum Patriarchat führt sie die Erbfolge an. Hier spielt das Konzept der Vaterschaft eine wichtige Rolle, dieses gab es nämlich in dieser Epoche der Menschheitsgeschichte noch gar nicht. Es spielte weder in der Evolution noch in der menschlichen Frühgeschichte eine große Rolle. Grund ist, dass die Sexualität der Frau zu dieser Zeit frei war und somit die Vaterschaft nur schwer feststellbar war. Somit war die Schöpferin des Lebens die Frau, wie Schwarz-Schilling näher erläutert: „Schöpferkraft war überwiegend weiblich gedacht. Das heißt, die Schöpfung und das Leben, kommt aus der Frau, kommt aus der Mutter. Das weibliche Prinzip war das schöpferische Prinzip.“  Spirituelle Konzepte waren überwiegend an den Rhythmen und Zyklen der Natur orientiert, anstatt an einem vergeistigten Gott.

“Der Mythos von Adam und Eva wurde 6.000 v.Christus erstmals aufgeschrieben. Daraus haben sich alle monotheistischen Religionen abgeleitet, die einen männlichen Gott ins Zentrum stellen. Die “Verführung ” der Frau und auch ihre Sexualität wurde mit spirituellen Konzepten als “Sünde” ins Unbewusste einzementiert, die Frau wurde zerstückelt. Heilige, Hure, Jungfrau. Wir alle kennen dies Wertungen in unserer Denkstruktur”.

Der Umbruch

Als Wendepunkt der matrifokalen Gesellschaft sieht Schwarz-Schilling die Domestizierung und Züchtung von Tieren: „Als wir Sammler:innen und Jäger:innen waren, waren wir den Tieren praktisch ebenbürtig. Mit der Domestizierung von Tieren hat sich das geändert. Man hat auf einmal angefangen, Tiere ihrer Freiheit zu berauben. Insofern war das ein echter Tabubruch, den gab es vorher nicht. Tiere waren immer frei, genauso frei wie Menschen. Die Tierhaltung und die Tierzucht hat praktisch das Konzept der Vaterschaft in die Welt gesetzt.“

Der „Female Choice“, ein evolutionäres Prinzip, bei dem die Weibchen den Partner wählen, wurde durch die Tierzucht eingeschränkt. Der Mensch hatte auf einmal vor Augen, dass beispielsweise ein männliches Tier reicht, um mehrere weibliche Tiere zu begatten. Somit trat der männliche Anteil bei der Fortpflanzung, der vorher keine große Rolle gespielt hat, in den Vordergrund.

Laut Schwarz-Schilling entstand hier ein großes Missverständnis: „Der männliche Samen, der wurde dermaßen überhöht. Man dachte, die ganze Information ist im männlichen Samen, und die Frau, oder das weibliche Tier, ist eigentlich nur noch ein Gefäß. So wurde im Grunde genommen aus der weiblichen Schöpferkraft immer mehr ein Gefäß, und die Schöpferkraft wurde auf das Männliche projiziert.“

Man dachte nun, der Mann ist der Schöpfer, und die Frau würde nur eine Austrägerfunktion erfüllen.

“Vaterschaft als Konzept kam erst mit der Viehzucht in die Welt – der männliche Anteil kam dadurch ganz anders in den Vordergrund. Hier ist das große Missverständnis passiert. Man hat die weibliche Schöpferkraft zu einem “Gefäß” gemacht und die Schöpferkraft wurde auf das Männliche projiziert.”

Das Konzept der Vaterschaft

Das Konzept der Vaterschaft war nun in der Welt. Um diese feststellen zu können, musste man die Sexualität der Frau kontrollieren. Schwarz- Schilling beschreibt den Prozess, der nun folgte: “Um die männliche Erblinie durchzusetzen und Vaterschaft in der Welt zu etablieren, war klar, dass die Frau nicht länger ihre Sexualität leben durfte, weil man dann nicht wusste, wer der Vater ist. Und hier kommt jetzt die Ehe ins Spiel.“

Somit schlich sich langsam das Konzept der Hierarchie in die Gesellschaft, und die Frau wurde laut Schwarz-Schilling mit der Zeit immer mehr zum Objekt und Eigentum des Mannes. Dabei fand eine Transformation zur Paarungsfamilie statt: “Das ist ein furchtbar fragiles Konzept, welches nur auf der Sexualität zwischen einem Mann und einer Frau beruht und damit natürlich überhaupt keine Stabilität in sich birgt, wie das in der Sippenstruktur der Fall war. Da müssen ganz viele Regeln drum herum, damit das überhaupt hält.“

“Vaterschaft kann man nur feststellen, indem man die Sexualität der Frau kontrolliert. Niemand ist hier schuld, es hat sich so verselbstständigt. Im Patriarchat begann das Konzept von Hierarchie und Feudalismus und die Frau wurde immer mehr zum Eigentum des Mannes.

Fragile Monogamie

Diese Instabilität kommt laut Schwarz-Schilling vor allem durch Monogamie zustande. Diese ist kein evolutionär gefördertes Konzept. Menschen seien demnach grundsätzlich nicht monogam. Um Regeln einführen zu können, mussten diese auch spirituell gerechtfertigt werden. So entstand beispielsweise der Mythos von Adam und Eva, in welchem die Frau zur Gefahr wird, die die Menschen aus dem Paradies vertrieben hat. Geschichten wie diese führten zur Entwertung der Frau und lieferten eine Rechtfertigung, sie zu kontrollieren.

Schwarz-Schilling spricht von der Zerstückelung der Frau: „Die Jungfrau ohne Sexualität, ist noch okay, die junge Mutter ist auch okay. Aber das sexuelle Wesen der Frau wurde dämonisiert und kriminalisiert. Da ist natürlich auch ihre Kraft extrem auseinandergefallen. Das Weibliche wurde zerstückelt und entsprechend geschwächt. Das Körperliche der Frau, das Sexuelle, und die Natur. Das wurde alles entwertet zu Gunsten von Geist, Himmel, Vater, Askese.“ Somit wurde das Patriarchat zementiert: „Der weibliche Leib wurde völlig entwertet. Das schöpferische Prinzip wurde vergeistigt und war von nun an dem Mann zugeordnet.“

“Wir müssen uns bewusst machen, dass die Unterdrückung des biologischen Prinzips der “Female Choice” eine der wichtigsten Herausforderungen für die Gestaltung der sesshaften Zivilisation durch Männer war. Die heutige Weltbevölkerung hat ungefähr doppelt so viele weibliche wie männliche Vorfahren. Das bedeutet, dass sich in präkulturellen Zeiten ungefähr 70% der Frauen mit 35% der Männer gepaart haben. Das Männchen, das keine Partnerin gefunden hat, ist bei der “Female Choice” nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Wie könnte man so ein natürliches Verhalten also umgehen? Man muss die Sexualität der Frau kontrollieren, sie verfügbar machen, man erfindet Gesetze und verteufelt jede Form der sexuellen Freizügigkeit im Hure-Heiligen-Jungfrau Narrativ. (Meike Stoverrock/Female Choice)

In der Serie “Unlearning Patriarchy” verlernen wir uns beigebrachte Geschichte und lernen sie aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten. Das Schreiben einer gemeinsamen „We-Story“ beginnt damit die alten Geschichten zu verlernen. Sanft, freundlich und vor allem mit dem Vorsatz wenig zu werten.

 Wenn wir hier von Frauen schreiben, meinen wir damit übrigens das historisch gewachsene Konstrukt Frau, das in unserer binären und damit unzureichenden Geschlechterlogik das Gegenbild zum Mann bildet.

Wenn wir hier von Männern schreiben, meinen wir damit übrigens das historisch gewachsene Konstrukt Mann, das in unserer binären unzureichenden Geschlechterlogik das Gegenbild zur Frau bildet.

Share the wild and golden content