Article by TWGE Redaktion
Zeig keine Gefühle. Als Mann im Patriarchat sozialisiert
Bis heute bin ich mir nicht sicher, ob ich nur ein weiteres Produkt der Rebellion meiner Mutter bin. Wie hatte sie es doch geliebt, ihren konservativen Eltern regelmäßig eines auszuwischen. War sie doch eine jener, die in Lederklamotten gehüllt mit kurzen schwarzen Haaren die goldenen Zeiten des legendären U4 miterlebt hatte. Sie hatte die Welt bereist. Sich kreativ ausgetobt. Ließ keine Schranken zu. Eine Kämpferin. Eine Feministin. Unabhängig durch und durch. So wuchs ich auf bei einer Frau, die mich schützen zu können glaubte, vor all den Ungerechtigkeiten draußen in der Welt. Und vor allem vor den alten Mustern, gegen die sie so lange gekämpft hatte.
Unabhängig – das sollten wir schnell sein, wenn es nach unserer Mutter ging. Dass wir davon schon bald Gebrauch machen müssten, wussten wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Aber in der Volksschule absolvierte ich einen Kochkurs, meine Schwester half fleißig im Haushalt mit. Und so wurden wir schon früh in das Leben der Erwachsenen integriert. Nicht, weil es notwendig war. Sondern, weil meine Mutter wusste, dass die Welt da draußen keine faire ist. Dass aber Erziehung allein nicht Wunder bewirken könnte, zeigte sich ab jener Zeit, in der ich selbst der Gesellschaft gegenübertreten und mich beweisen musste. Denn da begann das Konstrukt, das meine Mutter für uns baute, zu bröckeln. War es doch eine Art Utopie, die wir lebten.
Der Bruch und eine neue Realität
Während ich mich in der Welt da draußen beweisen musste, kam die Trennung meiner Eltern hinzu. Stabilität verflog. Auch ihr Unternehmen brach zusammen. Pleite. Viel Streit. Viel Unsicherheit. Und noch mehr wenig Zeit mit den Eltern. Denn mein Vater war erstmal weg. Die Mutter depressiv. Und für meine Schwester und mich begann ein Kampf. Der sichere Hafen, den wir kannten, war weg. Und die Realität der anderen war plötzlich auch unsere geworden. Während die Frauen da draußen darum kämpften, in Österreich den gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit zu bekommen, für ein Recht auf Grundpension oder auch für das Recht auf Vereinbarkeit von Beruf und Familie, kämpfte ich damit, dass die Welt da draußen eben nicht so ist, wie man mich erzogen hatte.
Von den Klassenkameraden verprügelt zu werden, weil man Gefühle zeigte, verstand ich nicht ganz. Ich wurde gehänselt und geschlagen, weil ich weinte. Es passiert nicht nur ein Mal. Und so trieb mir die Gesellschaft langsam, aber sicher, die gesunde Beziehung zu meinen Gefühlen aus. Statt zu zeigen, wie sehr mich die Geschehnisse zu Hause belasteten, fraß ich die Probleme in mich hinein. Zeitgleich schien meine Mutter schwächer zu werden. Ihre Männer immer mehr ein Abbild der Abgründe unserer Gesellschaft. Chauvinisten. Trinker. Aggressionsprobleme. Drogensucht. Und meine Mutter ließ sich all das gefallen. Ohne finanzielle Stabilität blieb sie scheinbar auch nicht in ihrer weiblichen Stärke stabil. Damals musste ich erkennen, dass Gleichberechtigung nicht nur etwas mit dem Mindset oder der Erziehung zu tun hat, sondern, dass Gleichberichtigung ein Wohlstandprivileg ist. Dass es faktisch in der Welt der Vielen noch gar nicht existiert. Eine akademische Theorie, die in der Realität vielfach scheitert. Und so brach auch meine Utopie Stück für Stück auseinander. Mein starkes Vorbild wich einer beugsamen Frau. Meine Gefühle wichen dem Dasein des vermeintlich starken Mannes.
Als wären all die Jahre der Erziehung wertlos gewesen, glitt ich ab. Nicht nur die Armut, aber mein schlechter Umgang mit meinen Gefühlen brachten mich nicht selten in Konflikt mit dem Gesetz. Was ich zu Hause zum Schutz meiner Mutter gelernt hatte – nämlich meine Hand gegen einen anderen Mann zu erheben – übertrug sich langsam in die Welt da draußen. Eine gesunkene Hemmschwelle gepaart mit unverarbeiteten Gefühlen der Angst und Trauer brachten den Ausbruch meiner Aggressionen zu einem Höhepunkt. Ich hatte alles verlernt. Und stattdessen die Muster einer Welt übernommen, die ungesund für alle Beteiligten waren. Mich als Mann sperren sie ein. Ich sperre mich selbst ein. Obwohl ich bereits privilegiert bin. Leben wir doch alle in einem Patriarchat. Aber auch jenen, die bessergestellt sind, stellt diese Gesellschaft regelmäßig ein Bein. Einige glückliche Fügungen rissen mich aus dem stetigen Fall und ließen mich wieder aufstehen. Dazulernen. Besser werden. Und vor allem stark genug werden in meinen Werten und meiner Überzeugung, um nicht bei jeder kleinsten Hürde wieder in diese alten Muster zu rutschen. Aber dafür brauchte es die Bereitschaft, das eigene Handeln immer und immer wieder zu hinterfragen. Und über diese Fragen lest ihr zukünftig in meiner Kolumne.