Article by Marie Schneidereit

The Male Gaze oder warum Kino nicht(s) für Frauen ist

Was haben die Sexbombe, das Manic-Pixie-Dream-Girl und das Cool-Girl gemeinsam? Richtig, sie alle sind Geschöpfe patriarchaler (Film-)Strukturen. Ergebnisse der Gedanken von Männern, Erfindungen, die nicht wirklich existieren. Hollywood ist leider auch nach Jahrzehnten des Feminismus und #metoo-Kampagne noch von patriarchalen Strukturen durchzogen.

Warum Filme eine weibliche Revolution brauchen

Von Nacktheit über Ageism (Altersdiskriminierung) und toxische Beziehungen. Man, oder besser frau, weiß gar nicht recht, wo genau der Anfang ist, wenn es um Sexismus im Film geht. In den meisten Filmen der vergangenen Jahrzehnte werden patriarchale Rollenbilder bedient und Frauen durch eine weitgehend männliche Sichtweise dargestellt, sofern sie überhaupt Platz auf der Leinwand finden. Bereits ein kurzer Blick auf die Oscar-Nominierungen 2022 genügt, um zu erkennen, dass weiße Cis-Männer die Formate dominieren. Sie spielen die Hauptrollen, sowohl vor als auch hinter der Kamera. Männer haben eben das Sagen und das sogar wortwörtlich, denn sie bekommen im Film auch mehr Text. Dieser Gedanke ist für die meisten Menschen so grundlegend normal und richtig, dass Filme, die sich klassischen Narrativen entgegenstellen, schon mal zu kleineren Skandalen führen. “Mad Max Fury Road wurde von Männerrechtsaktivisten sogar “boykottiert”. Zumindest war das der Plan der Männergruppe. “Fury Road” sei feministische Propaganda. Ein Film, der Männer mit dem Versprechen eines Actionfilms in die Kinos locke, nur um sie dann feministisch belehren zu wollen.

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Sexy und still

Die Tatsache, dass Frauen im Film nicht viel zu sagen haben, ist bei weitem keine Fiktion. Hanah Anderson und Matt Daniels kamen 2016 in ihrer Studie von etwa 2000 Filmen zu dem Ergebnis, dass selbst in Filmen mit einer überwiegend weiblichen Zielgruppe, wie Liebeskomödien, Männer durchschnittlich einen Redeanteil von 58% haben. Sogar in vermeintlichen “Frauenfilmen” haben Männer also mehr zu melden. Insgesamt war das Ergebnis erschreckend männlich. Erschreckend auch deshalb, weil Figuren, die mehr zu Wort kommen, für die Handlung insgesamt wichtiger sind als jene, die im Film nur wenig sprechen.

Während Frauen im Film möglichst still sind, sollen sie auch möglichst sexy sein. Laut Analyse des Annenberg-Reports, wurden in über 1000 der beliebtesten Filme von 2007-2017 mehr als ein Viertel der weiblichen Rollen zumindest zu einem Teil nackt dargestellt, im Gegensatz zu nicht einmal 10 Prozent der Männer. Mädchen im Alter von 13 bis 20 waren dabei genauso oft knapp bekleidet oder nackt zu sehen wie erwachsene Frauen zwischen 21 und 39. Darstellerinnen ab 40 wurden im Gegenzug wesentlich seltener freizügig gezeigt. Die männlich dominierte Filmbranche mag seine Darstellerinnen also jung. Vielleicht zu jung. Man erinnere sich nur an Brooke Shields, die mit nicht einmal 13 Jahren eine Kinderprostituierte darstellte und nach ihrem Durchbruch in “Die Blaue Lagune” bereits als Sexsymbol galt. Bei den Dreharbeiten zu diesem Film war sie gerade 15.

Der Grund für diese Frauendarstellungen ist gleichzeitig der Grund für die weit größere Diversität an männlichen Protagonisten: Filme werden von Männern für Männer gemacht. Diese stellen sich natürlich am liebsten so dar, wie sie selbst sind, während sie Frauen zeigen, wie sie sie gerne hätten. Was das Publikum zu sehen bekommt, sind Projektionen männlicher Fantasien, anstatt wahrhaftiger Frauen. Die Folge: Weibliche Charaktere sind nicht mehr eigenständige Akteurinnen mit Charakter, Sinn und Text, sondern (Sex-)Objekte, die sich austauschen lassen. Um zu erkennen, wie austauschbar weibliche Rollen wirklich sind, kann beispielsweise der “Sexy-Lamp-Test” angewendet werden. Entworfen hat ihn Comicbuch-Autorin Kelly Sue DeConnick. Der Test ist erfüllt, wenn die weibliche Darstellerin gedanklich durch ein Objekt wie eine Lampe ersetzt werden kann, ohne, dass sich die Handlung dadurch maßgeblich ändert. Selbst große Hollywood Produktionen fallen hier des Öfteren durch. Klassische Beispiele wären “The Great Gatsby” oder die “Transformer”-Filme.

Der Male Gaze

Der “Male Gaze” (männlicher Blick) gilt in der feministischen Filmtheorie als die Handlungsweise des Regisseurs oder Drehbuchautors, mit der Frauen und die Welt in der visuellen Kunst und Literatur von einer männlichen, heterosexuellen Perspektive aus dargestellt werden. Um den Bedürfnissen des männlichen Betrachters zu entsprechen, werden Frauen dabei als sexuelle Objekte präsentiert und repräsentiert. Der male gaze umfasst in den visuellen und ästhetischen Präsentationen des erzählenden Kinos drei Perspektiven: erstens die der Kamera auf das Geschehen, zweitens die der männlichen Charaktere in der filmischen Repräsentation und drittens die des Publikums. (Zitat Wikipedia)

Der Druck, sich vor der Kamera freizügig zu geben, ist vor allem für junge, unbekannte Schauspielerinnen hoch. “Game of Thrones”-Darstellerin Emilia Clarke äußerte sich dazu in einem Podcast: “Ich hatte deshalb schon öfter Streit am Set. Wenn ich gesagt habe: ‚Nein, das Laken bleibt oben‘, war die Antwort: ‚Du willst doch deine Game of Thrones-Fans nicht enttäuschen.’”

Solche Darstellungen beeinflussen vor allem auch das Selbstbild von Mädchen und Frauen. Besonders diese sexualisierten, unterlegenen Darstellungen tragen bei Frauen zu Körperscham, Problemen mit dem Aussehen und Selbstobjektivierung bei oder verstärken sie zumindest, so der Annenberg-Report. Nicht zuletzt manifestieren sie schädliche Stereotype für Frauen und Männer.

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Patriarchy ist also all around. Omnipräsent, in den Alltag verankert und gerade deshalb oft schwer zu erkennen. Vor allem dort, wo man ihn vielleicht gar nicht vermutet. Noch schwieriger ist es, den Sexismus zu bekämpfen. Mit neuen Generationen an Künstler:innen, kommen aber auch neue Projekte. Ob auf TikTok oder Instagram, feministische Themen trenden vor allem in den jungen sozialen Medien und verbreiten sich so schnell um den Globus, dass auch Hollywood schon aufmerksam geworden ist.

Einige Filme, die statt dem Male Gaze, den Female Gaze in den Fokus rücken, stellen wir euch in Die Frau hinterm Vorhang – ein feministischer Blick auf Hollywood vor.

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