Article by Juno Moneta

Wie ist das Patriarchat entstanden?

Wie ist das Patriarchat entstanden? Für die Klärung dieser wichtigen Frage sind wir extra nach Berlin gereist und haben mit der Patriarchatsforscherin Alexandra Schwarz- Schilling über diese und andere grundlegende Fragen gesprochen. Sie geht seit dreißig Jahren der Frage nach: Was ist der Mensch?

Alexandra hat Anthropologie und Ethnologie studiert, Theaterprojekte in Moskau geleitet und ist weltweit einer der führenden Vordenkerinnen im Dialog rund um eine neue Geschlechter-Dynamik. Ihre Auslandserfahrungen in London, Paris, Indien und Japan haben sie geprägt. Ihr BWL- Diplomstudium, das Studium der Psychologie und ihre Erkenntnisse als Mutter dreier Kinder – dieses Wissen, Können und ihre Erfahrung verbinden sich in ihrer Arbeit in der Coaching Spirale Berlin. Das Wissen dieser Frau ist eine große Bereicherung für TheWildGoldenEgg. Wenn dich das Thema interessiert und du mehr dazu wissen willst, kannst du gerne das ganze Gespräch im Podcast nachhören oder hier Teile des Interviews nachlesen.

Sabine: Was ist eigentlich das Patriarchat?

Alexandra: Man kann das Patriarchat festmachen an bestimmten Merkmalen, die eine Gesellschaftsstruktur hat. Zum Beispiel eben eine Gesellschaft, die androzentristisch ist, wo der Mann im Grunde genommen die Norm ist für bestimmte Sachen. Dass er etwa die meisten Führungspositionen innehat. Man kann es natürlich auch gut feststellen sozusagen an der männlichen Erbfolge, an der Namensgebung und an den religiösen, spirituellen Konzepten, die komplett auf einen männlichen Gott ausgerichtet sind. Man sieht es auch daran, dass eben Frauen in der Regel in die Familie des zukünftigen Mannes einheiraten. Das ist ein ganzer Punsch aus Merkmalen, die eben ganz klar darauf hinweisen, ob eine Kultur oder eine Gesellschaftsform patriarchal ist oder nicht. Die Ehe ist zum Beispiel ein ganz klassisches Merkmal von patriarchalen Kulturen, da werden wir nachher noch drauf kommen, welche Rolle die Ehe spielt bei der Durchsetzung des Patriarchats.

Sabine: Also ich denke da an meine geliebte Oma, die leider verstorben ist, die hat mir immer gesagt, „Sabine, du bist doch eine Frau. Der Mann ist doch mehr wert, das ist doch einfach so.“ Diese kulturelle Codierung, die da durch Generationen von Frauen läuft. Wie ist das Patriarchat eigentlich entstanden?

Alexandra: Was deine Oma da von sich gibt, das ist zutiefst verinnerlicht, dass das Weibliche eben keinen großen Wert hat. Das wichtigste ist einfach einmal zu verstehen, diese patriarchale Geschichte ist ungefähr siebentausend Jahre alt, und die Menschheitsgeschichte ist ungefähr 500.000 Jahre alt. Das heißt, der erste Schritt besteht darin, das wieder in Relation zu rücken. Für uns, unsere sogenannte historische Zeit, beginnt vielleicht so vor 2.500 bis 4.000 Jahren. Das empfinden wir schon als furchtbar alt, und es ist natürlich im Vergleich der Menschheitsgeschichte ein Augenzwinkern. Das Patriarchat ist keine lange Geschichte, sondern ist etwas ganz Kurzes. Das ist wirklich ganz wichtig zu verstehen. Vor dieser Zeit lebten die Menschen halt eher in egalitären Gesellschaften, also es war auch nicht eine matriarchale Zeit, in Sinne von Herrschaft. In dem Wort Herrschaft kommt ja schon der Herr vor. Patriarchat heißt ja Herrschaft der Väter, nicht Herrschaft des Mannes. Man denkt, davor war vielleicht Matriarchat. Nein, das war kein Matriarchat in dem Sinne, dass die Mütter geherrscht hätten. Ich spreche immer von matrilinearen oder martrifokalen Gesellschaften, die sich eben über die mütterliche Ahnenfolge ihre Identität gewonnen haben. Das ist halt der entscheidende Unterschied, weil man nicht wusste, wer die Väter sind, weil Vater einfach noch keine Rolle spielte in dieser Epoche der Menschheitsgeschichte, beziehungsweise das Konzept Vater noch gar nicht in der Welt war. Das ist etwas, das wir uns heute gar nicht mehr vorstellen können. Vater ist eine relativ junge Erfindung, könnte man sagen. Vaterschaft spielt in der Evolution keine große Rolle, und in der menschlichen Frühgeschichte spielt eben Vaterschaft auch keine große Rolle.

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“Patriarchat heißt ja Herrschaft der Väter, nicht Herrschaft des Mannes. (..) Vater ist eine relativ junge Erfindung. Vaterschaft spielt in der Evolution keine große Rolle, und in der menschlichen Frühgeschichte spielt eben Vaterschaft auch keine große Rolle.”

 

 

Sabine: Was ist dann passiert, dass sich dann plötzlich alles gewandelt hat?

Alexandra: Die Menschen haben zunächst in matrilinearen Sippen gelebt, also in Strukturen, wo die Kinder der Frauen immer mit der Mutter zusammenbleiben und auch gerade die Männer, also die Söhne, also es gab praktisch Söhne, Töchter, Brüder, Onkel und Geliebte. Aber Väter, das Konzept Vater gab es nicht. Das heißt, man lebte mit der Blutsverwandtschaft zusammen. Alle, die aus derselben Mutter kommen, weil eben die Sexualität war frei und Vaterschaft war gar nicht feststellbar und gar nicht wichtig. Das muss man sich einmal klarmachen.

Sabine: Und vorstellen…

Alexandra: Deswegen war natürlich auch das, was mit Schöpferkraft assoziiert wurde, überwiegend weiblich gedacht. Das heißt, die Schöpfung, das Leben kommt aus der Frau, kommt aus der Mutter. Deswegen waren natürlich die spirituellen Konzepte, die ja sehr bodenständig waren und an der Natur orientiert, an den Rhythmen der Natur und den Zyklen. Daher war klar, dass es das Weibliche ist, dass das Leben hervorbringt und hält und schützt und nährt und nicht das männliche Prinzip. Das weibliche Prinzip war das schöpferische Prinzip. Das ist wahrscheinlich der wichtigste Punkt. Dann haben Menschen angefangen mit der Tierhaltung. Also, das ist jetzt alles super zusammengeschnürt, ja?

Irgendwann fing man an, Tiere zu domestizieren und auch zu züchten, und hat damit im Grunde einen Tabubruch begangen, weil eben in der Phase davor, als wir Sammlerinnen und Jägerinnen waren, waren wir praktisch mit den Tieren ebenbürtig. Die Tiere waren einfach eine andere Lebensform, und die waren auch für die frühen Menschen total faszinierend. Und gerade auch die spirituellen Konzepte haben sich viel darum gedreht, die Qualitäten, die viele Tiere hatten, die die Menschen auch bewunderten, sich versuchten anzueignen und sozusagen in seiner Intention genauso geschmeidig oder so gut jagen zu können wie ein Jaguar. Die Tiere waren auf jeden Fall für die Menschen etwas super Interessantes, Spannendes und Ebenbürtiges. Und mit der Domestikation von Tieren hat sich das sehr geändert. Man hat da auf einmal angefangen, Tiere ihrer Freiheit zu berauben. Insofern war das ein echter Tabubruch. Den gab es vorher nicht. Tiere waren immer frei, genauso frei wie Menschen. Die Female Choice ist in der Natur ein evolutionäres Prinzip, das darauf setzt, dass das Weibchen wählt. Man weiß ja inzwischen auch aus der Genetik, dass es gar nicht immer das Alphatier ist, bei bestimmten Tierarten, sondern dass das immer sehr ausdifferenziert ist, welche Väter oder welches Spermium sich das Weibchen einverleibt. Das Weibchen hat Mechanismen, wenn es irgendwie gewaltvoll begattet werden sollte, was bei manchen Tierarten ja durchaus so ist, zum Beispiel bei den Enten, dass dann der weibliche Körper die Fähigkeit hat, den ungewollten Samen wieder loszuwerden. Also das ist tatsächlich ein evolutionär wichtiges Prinzip, dass das Weibchen das Spermium wählt.

Und jetzt durch die Tierzucht ist es so gewesen, dass diese freie Wahl des Tierweibchens eingeschränkt wurde und die Menschen entschieden haben, welches männliche Tier jetzt welches weibliche Tier begattet. Und gleichzeitig hat man dann natürlich vor Augen gehabt, dass ein Bulle reicht, sag ich jetzt einmal, um zehnKühe zu begatten. Also auf einmal trat dieses Männliche, der männliche Anteil an der Fortpflanzung, ganz anders in den Vordergrund. Das war ja vorher nicht im Fokus gewesen. Und dadurch, dass der Mensch anfing, das zu manipulieren, trat plötzlich Vaterschaft in den Vordergrund. Und dann ist ein großes Missverständnis passiert, das merkt man sogar an dem Wort Samen, dass man von männlichen Samen spricht. Das ist kein Samen. Ein Samen ist ein Begriff aus der Pflanzenwelt und beinhaltet schon den fertigen Embryo. Da sind ja männliche und weibliche Anteile schon drinnen. Im Spermium ist das ja überhaupt nicht der Fall. Aber man merkt an dem Wort Samen, dass der dermaßen überhöht wurde, dass man dann dachte, die ganze Information ist im männlichen Samen, und die Frau, oder das weibliche Tier, ist eigentlich nur noch ein Gefäß.

So wurde im Grunde genommen aus der weiblichen Schöpferkraft immer mehr ein Gefäß, und die Schöpferkraft wurde auf das männliche projiziert. Das ist ein ganz wichtiger Zusammenhang, den man verstehen muss, um auch zu verstehen, wie es dann weiterging. Weil natürlich ist dann noch wahnsinnig viel passiert, was alles wichtig ist zu besprechen. Aber das erstmal zur Entstehungsgeschichte, warum plötzlich das Väterliche so überhöht wurde. Und das ist ja auch nachvollziehbar, denn tatsächlich hatte vorher das Väterliche gar keine Bedeutung. Das war nicht benannt. Was nicht Benanntes ist nicht in der Welt. Das Spermium leistet einen Beitrag. Und dieses Missverständnis mit dem Samen erklärt natürlich auch, warum dann das Weibliche so drastisch entwertet wurde. Man hat also die ganze Frühzeit über was Falsches gedacht, der Mann ist der Schöpfer, und die Frau, das Weibchen, ist eigentlich nur so ein Austräger.

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Sabine: Da gab es eine Übereinkunft bei Männern, nämlich die Entwertung der Frau. Die hat sich ja dann wirklich als System etabliert und wird jetzt von Generation auf Generation weitergegeben.

Alexandra: Das hat damit zu tun, dass Vaterschaft jetzt als Prinzip in der Welt war, und dann durchgesetzt werden muss. Und wie kann man denn Vaterschaft überhaupt nur feststellen? Indem man die Sexualität der Frau kontrolliert. Da ist jetzt auch niemand daran schuld, sondern die Sachen passieren halt. Jetzt war praktisch Vaterschaft entdeckt und jetzt wollten natürlich die Männer die Vaterschaft auch haben. Und um die männliche Erblinie durchzusetzen, also, Vaterschaft in der Welt zu etablieren, war klar – die Frau durfte nicht länger ihre Sexualität leben, weil man dann nicht wusste, wer der Vater ist. Und hier kommt jetzt die Ehe ins Spiel.

Sabine: Wann wurde dieses Konzept entwickelt?

Alexandra: Also, man weiß es natürlich nicht ganz genau, aber man weiß zum Beispiel das Hammurapi 1760 vor Christus in Babylon auf dem Marktplatz in Stein meißeln ließ, dass jetzt die Ehe eingeführt wird, um die Frau davon abzuhalten, mehrere Liebhaber zu haben. Also, da steht es, wortwörtlich da, worum es eigentlich ging. Und es ging natürlich dann darum, für die Männer Gefolgschaft zu züchten, weil damals die Kinder waren Knechte und Mägde. Im Patriarchat ging das los mit den Konzepten von Hierarchie und Feudalismus. Die Frau wurde immer mehr zum Objekt und zum Eigentum des Mannes. Also die Umwälzung, die gesellschaftliche Transformation von der Sippenkultur in die patriarchale Paarungsfamilie… die Paarungsfamilie ist ja ein furchtbar fragiles Konzept, was nur auf der Sexualität zwischen einem Mann und einer Frau beruht und damit natürlich überhaupt keine Stabilität in sich birgt, wie das in der Sippenstruktur der Fall war, da müssen ganz viele Regeln drum herum, damit das überhaupt hält.

Sabine: Weil?

Alexandra: Weil die Menschen nicht monogam sind. Also, weil Monogamie kein evolutionär gefördertes Konzept war, jetzt beim Menschen oder bei Säugetieren.

Sabine: Das ist eigentlich ein kulturelles Konstrukt.

Alexandra: Naja, es ist ein Konstrukt, um sicherzustellen, wer der Vater ist. Das ist ja sonst einfach nicht möglich. Also jetzt heute haben wir DNA-Analysen, aber das hatten die nicht. Woher sollen sie dann wissen, wer der Vater ist? Das geht nur, indem man die Frau zum Eigentum macht und verbietet, mit anderen Männern Sexualität zu haben. Und damit hat die Sache so einen scharfen Verlauf genommen. Weil das ja nur durchsetzbar ist, indem man die Frau eigentlich gefangen nimmt, könnte man fast sagen.

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“Klassisch, Heilige und Hure. Die Jungfrau, also ohne Sexualität, ist noch okay, die junge Mutter ist auch okay, aber die sexuelle Frau wurde dämonisiert und kriminalisiert.”

Sabine: Also wir Frauen, kann man überspitzt gesagt sagen, tragen das patriarchale Erbe mit und sind gefangen.

Alexandra: Man kann es so sehen. Man kann es natürlich auch ganz anders sehen. Es ist für uns so normal, dieses Konzept, dass wir ja auch gelernt haben, das zu wollen. Es geht nicht darum, irgendwie in vorpatriarchale Zeiten zurückzugehen. Ich denke, wo es hingeht, das ist nochmal ein ganz anderes, großes Thema. Aber vorher muss man erstmal noch verstehen, was ist denn passiert … also wie gesagt, die Frau wurde zum Objekt erklärt, und dann, als diese Gesellschaftstransformation sich eigentlich wirklich umgesetzt hat, sind die monotheistischen Religionen entstanden. Und die sind entstanden, um diesen Gesellschaftsumbruch spirituell zu rechtfertigen. Der Mythos von Adam und Eva wurde das erste Mal aufgeschrieben 600 vor Christus, ist aber wesentlich früher entstanden. Aus dem sind ja dann die drei monotheistischen Religionen hervorgegangen, also Judentum, Christentum und Islam, und die sind ja alle in einem sehr kurzen Zeitfenster entstanden. Die sind eigentlich alle dazu da, eben diese Entwertung der Frau und auch, dass die Frau gefährlich ist, mit ihrer Verführung, zu etablieren. Die Frau hat dafür gesorgt, dass wir aus dem Paradies vertrieben wurden. Das gibt ja die Rechtfertigung, sie zu beherrschen und zu kontrollieren. Das ist im Grunde genommen die Rolle, die die Religionen dann gespielt haben. Der Umbruch war schon passiert, also man kann sagen, schon 3.000 vor Christus ging das massiv los mit dem Patriarchat. Davor natürlich auch schon, aber bis das so etabliert war, das kommt natürlich auch drauf an, wo man ist. Das ist nicht überall zur gleichen Zeit passiert, das sind Prozesse gewesen.

Aber auf jeden Fall ist es auch wichtig, zu verstehen, dass die Religionen dazu dienten, das zu zementieren und die Frau zu zerstückeln in Aspekte, die man immer noch liebhaben darf, und Aspekte, die halt verteufelt sind. Klassisch, Heilige und Hure. Die Jungfrau, also ohne Sexualität, ist noch okay, die junge Mutter ist auch okay, aber die sexuelle Frau wurde dämonisiert und kriminalisiert. Die Frau ist ein zutiefst sexuelles Wesen. Da ist natürlich auch ihre Power extrem auseinandergefallen. Das Weibliche wurde zerstückelt und entsprechend geschwächt und alles Materielle wurde entwertet. Also, das Körperliche der Frau, das Sexuelle, und die Natur. Das wurde alles entwertet zu Gunsten von Geist, Himmel, Vater, Askese. Man begann sich nach einem jenseitigen Gott zu sehnen, der irgendwo da im Paradies auf mich wartet und das Leben hier auf der Erde war nur im Hinblick auf den Platz im Paradies überhaupt noch sinnvoll. Das Leben als Jammertal. Die Lebenslust und das Materielle, die Materie, die Mater, hat eben auch spirituell keinen Wert mehr. Das ist halt, der ganze Leib ist völlig entwertet und das schöpferische Prinzip ist vergeistigt worden und dem Mann zugeordnet.

Sabine: Wir leben in zutiefst patriarchalen Strukturen, haben in Österreich die höchste Femizid-Rate in ganz Europa. Wir leben in patriarchalen Kernfamilien, in Konzepten, wo Frauen eigentlich in Erschöpfung sind, in einer Überforderung. Wir dienen im Prinzip diesem System, und tragen das patriarchale Erbe in unserer Zelle. Jetzt ist die Frage, warum unterstützen das so viele Frauen auch mit ihren täglichen Handlungen, aus deiner Sicht?

Alexandra: Wir kennen nichts anderes. Wir sind lernfähige Tiere, also wir haben das so gelernt. Auch bei Tieren ist es immer wieder erstaunlich, wenn da bestimmte Populationen verschwinden, da geht auch ganz viel Wissen verloren. Wir haben das so tief verinnerlicht, dass wir das selber glauben. Man muss auch den Zusammenhang zwischen Patriarchat und Krieg verstehen, das ist auch noch ein Thema für sich. Weil das Patriarchat kann nur existieren mit Krieg. Jetzt haben wir hier seit 70 Jahren Frieden, und dann fängt es an, sich an den Rändern aufzulösen. Nur deswegen haben wir überhaupt den Raum, mitzubekommen, da könnte es noch etwas anderes gegeben haben, und es könnte auch wieder etwas anderes geben. Und die Frauen kennen nichts anderes als das Patriarchat und versuchen innerhalb des Patriarchats irgendwie das Beste draus zu machen. Frauen sind sehr anpassungsfähig und tragen es auch wirklich mit und sind auch die Hüterinnen des Patriarchats.

Männer und Frauen haben beide sehr viel davon, die patriarchalen Strukturen zu durchschauen, weil ja auch bei den Männern ganz viel auf der Strecke geblieben ist. Diese Kriegskultur hat den Männern auch ein sehr verengtes Männlichkeitsbild präsentiert. Männer durften im Grunde genommen nicht wirklich fühlen, sonst hätten sie ja niemals diese ganzen kriegerischen Handlungen ständig ausführen können. Frauen wurde ihre Sexualität vermiest. Sie haben gelernt, sich für ihre Sexualität zu schämen und sich dafür schuldig zu fühlen. Und ähnlich ergeht es Männern mit ihrer Gefühlswelt. Männer schämen sich für ihre Gefühle, nicht für ihre Sexualität. Frauen schämen sich nicht so für ihre Gefühle. Die durften keine sexuellen Wesen mehr sein, sie sind verunsichert im Bezug auf ihre Sexualität und können sie nicht frei zum Ausdruck bringen, weil sie früher dafür umgebracht wurden. Genauso wurden die Männer, die ihre Gefühle zeigten, verurteilt, das waren keine Männer. Da ist ganz viel auf der Strecke geblieben, bei beiden Geschlechtern, und das hat sich eben auch wieder kolossal verselbstständigt. Und dass die Sexualität noch einmal so zusätzlich entwertet wurde, hat ja auch für die Männer einen fürchterlichen Boomerang-Effekt. Weil ja auch Männer sich immer schuldig fühlen mussten, wenn sie Frauen begehrten. Die Religion haben im Grunde genommen verlangt, dass man sich nach der Verschmelzung mit einem jenseitigen Gott sehnt, während Männer durch die ganze Evolution hindurch sich nach der Verschmelzung mit dem Weiblichen gesehnt haben. Das wurde ihnen ja dann genommen. Das Weibliche wurde entwertet, jetzt sehnten sie sich nach etwas Bösem, Entwerteten, eigentlich Verwerflichen. Und das durften sie nicht mehr. Ihr Körper wollte das aber immer noch. Das heißt, dieses riesige Dilemma, in dem Männer sich befinden, das ist immer noch ein Tabu-Thema. Das macht uns heute in unseren heutigen Beziehungen zu schaffen. Alle diese Themen. Heute!

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Sabine: Du sagst, das ist in unserem System drinnen. Wir wollen ja auch mit The Wild Golden Egg bewusst hier Unlearning Patriarchy betreiben. Haben wir eine Chance, das zu verlernen, und wie könnte das ausschauen, dass wir sozusagen diese alten Konditionierungen, die Jahrtausende in unserer Genetik ihr Unwesen treiben, verlernen?

Alexandra: Ich denke, dass es im Kollektiv genauso zugeht wie im Individuum. Wenn ich Persönlichkeitsentwicklung betreiben will, ist der erste Schritt anzuerkennen, was ist. Sich klar machen, was habe ich denn für Konditionierungen oder Überzeugungen, unbewusste Glaubenssätze, die mir eigentlich im Weg stehen, um was anderes leben zu können.

Der zweite Schritt ist, die Gefühle fühlen, die damit zusammenhängen, auch wenn das nicht immer nur angenehm ist. Die gute Nachricht ist, es lohnt sich trotzdem, auch die unangenehmen Gefühle gehen vorbei. Scham, Unsicherheit und Schuld – ich muss schon bereit sein, diese Dinge zu Ende zu fühlen und dann brauche ich eine inspirierende Vision, die mich praktisch in eine neue Erfahrungsmöglichkeit zieht.

Gerade das Thema Vaterschaft zum Beispiel, was uns jetzt so viel Ärger bereitet hat, durch das Patriarchat, kann auch ein riesiger Schlüssel sein, gerade für Männer. Moderne Vaterschaft ist etwas ganz anderes als dieses militärisch gedrillte Gefolgschaftskonzept von Vater, das noch bei uns in den 60er Jahren ganz lebendig war. Der Vater kommt nach Hause, um die Kinder zu bestrafen. Die Mama ist lieb und wartet, bis Papa kommt, der dann die Kinder schlägt. Das ist alles nicht lange her, und das gibt es immer noch, sodass jetzt praktisch diese neue Bewegung, dass gerade Männer auch aktive Väter sind von Säuglingen, also wirklich den Kontakt mit den Kleinstkindern erleben, das ist mit eine der besten Möglichkeiten, um diesen Gefühlspanzer abzuschmelzen bei den Männern. Weil die eigenen Kinder, die erreichen das männliche Herz. Es gibt eigentlich fast nichts, was so unmittelbar das männliche Herz erreicht wie die eigenen Kinder. Und insofern ist da eigentlich eine riesige Chance, mit Vaterschaft hat es angefangen, mit Vaterschaft könnte man es jetzt auch transformieren und die Männer aus ihrem Korsett, aus ihrem Männlichkeitskorsett herausholen, indem sie sich selbst erlauben, diese ganze Gefühlsintensität an sich heranzulassen. Die entsteht, wenn man Kontakt hat mit kleinen Kindern. Sie können sich da unglaublich erweitern in ihrer Selbsterfahrung, und gleichzeitig riesige Schritte nach vorne machen, weil sie sich mit ihrem Gefühlsleben anfreunden können. Und natürlich ist das zwischendurch auch bedrohlich, das ist so, genauso wie für Frauen das bedrohlich ist, plötzlich soll ich meine Sexualität leben, um Gottes Willen, wie soll das gehen, ich weiß nicht, unsicher. Also alle Beteiligten sind unsicher, aber da ist doch sehr viel Potenzial auch für alle Beteiligten.

Sabine: Das Patriarchat hat die Herzen der Männer verpanzert und den Schoß der Frauen. Also ein Weg in ein neues System könnte sein, dass wir uns einmal bewusst machen, dass das so ist, das annehmen und mit einer Vision uns auseinandersetzen, nämlich die Männer, die damit kleinen Kindern auch ihr Herz öffnen. Können Männer auch für Frauen ihr Herz öffnen oder wie können sie da tun, ohne wieder in Abwertungen zu geraten, weil da eine große Kluft zwischen den Geschlechtern ist, die du ja auch immer wieder beschreibst. Da ist ja so viel Enttäuschung.

Alexandra: Männer müssen für sich arbeiten und Frauen arbeiten schon ganz viel für sich. Es geht halt darum, mit dem Schmerz und auch der Wut umzugehen und das jetzt nicht dem nächsten Mann an den Kopf zu werfen. Genauso geht es darum, dass die Männer auch ihren Teil Arbeit machen, das wird uns allen nicht so wirklich erspart bleiben. Aber wenn wir jetzt noch einmal zu den Femiziden zurückkommen. Die sind natürlich eine Reaktion auf die Autonomie, wachsende Autonomie der Frauen. Femizide geschehen in der Regel, wenn die Frau sich entfernt, also praktisch sich weigert, als Eigentum zu verharren. Sie werden ja meistens umgebracht von Ex- Männern oder Ex- Freunden, weil der Mann die Frau nicht mehr beherrschen kann. Das ist natürlich eine Riesenprovokation, mit der man umgehen lernen muss. Auf jeden Fall ist das eine Bewegung, auf die wir uns einstellen müssen, diesen Backlash. Also die Nichtbereitschaft, weil es bedeutet für die Männer, das Patriarchat bedeutet, jederzeit Zugang zu Sex zu haben. Das dürfen wir auch nicht unterschätzen.

Sabine: Ist ja auch in der Ehe die Regel.

Alexandra: Genau. Wenn das nicht mehr so ist-

Sabine: Was würde das bedeuten?

Alexandra: Das ist natürlich ein Riesenaffront. Dabei ist es in der Natur so, nur Menschen haben es umgedreht und insofern.

Sabine: Überall in der Natur müssen die Männchen sozusagen Balzen, ihre Federn ausbreiten.

Alexandra: Viele haben einfach keinen Zugang zu Sexualität, und das ist so. In der Natur ist der Zugang zu Sexualität nicht selbstverständlich. Während im Patriarchat Männer davon ausgehen, dass sie ein Recht darauf haben. Sie haben ein Recht auf den weiblichen Körper und das ist natürlich auch gefährlich. Diese unbewusste Überzeugung kann uns noch ganz schön zu schaffen machen.

Sabine: Wir haben hier auch Zahlen, dass in der patriarchalen Ehe es sehr wenig Sex dann irgendwann gibt, weil die Frau keinen Bock mehr hat. Das geht nach hinten los.

Alexandra: Ich finde es aber auch ganz wichtig darauf hinzuweisen, was es mit diesem verletzten Herz auf sich hat, weil wir eben das völlig unterschätzen.

Sabine: Das verletzte Herz der Männer.

Alexandra: Ja, das verletzte Herz der Männer. Dass Frauen in ihrem Schoß verletzt sind, das ist uns irgendwie klar. Das wissen wir. Frauen werden vergewaltigt und all diese Sachen. Männer sind übergriffig mit ihrer sexuellen Energie und wollen zu viel, und, und, und. Aber das umgekehrte Phänomen, was sich eben in unseren Beziehungen ganz stark manifestiert, ist, dass die Frau mit ihrem aktiven Gefühlspol hier oft das männliche Herz sehr verletzt und das ist noch gar nicht angekommen im kollektiven Bewusstsein, dass da auch sehr viel Übergriffe passieren und dass eben ähnlich das männliche Herz empfindsam und verletzlich ist wie der weibliche Schoß. Beides befindet sich im Körperinneren und ist nicht hier mit einer Auswölbung wie bei der Brust oder beim Penis. Das sind Innenräume und die sind immer der verletzliche Anteil. Die müssen sich sicher fühlen, damit sie sich öffnen können. Und das männliche Herz kann sich natürlich oft nicht öffnen, weil es bombardiert wird mit Vorwürfen und Unzufriedenheit. Und das ist für die Männer eine genauso drängelnde, invasive Energie wie es oft für die Frauen ist im Bezug auf die sexuelle Energie des Mannes. Und dieses Verständnis ist noch gar nicht da. Welchen Schaden das männliche Herz genommen hat im Patriarchat ist überhaupt noch nicht verstanden, und ist ein ganz entscheidender Punkt. Deswegen sage ich, mit den Kindern ist es einfacher. Das ist nicht so gefährlich für die Männer. Da ist es viel naheliegender, an der Stelle erst einmal sozusagen sein Herz öffnen zu können, weil wir halt wirklich unterschätzen, wie verletzt und zurückgezogen das männliche Herz ist. Es ist bei den Männern nicht anders als bei den Frauen. Dadurch, dass ihre Gefühlswelt so entfremdet ist, sind sie überhaupt nicht in ihrer wirklichen Kraft. Männer bräuchten eigentlich eine entfaltete Herzkraft, um in ihre Power zu kommen, und Frauen bräuchten eine entfaltete Schoßkraft, um ihre ganze Power zu kommen. Deswegen glaube ich eben, dass da noch ein Riesenpotenzial auf uns wartet, wenn wir erstmal anfangen zu verstehen, wie wir uns selbst kleinhalten in diesen patriarchalen Kontexten. Weil ein Mann mit einem offenen Herzen ganz anders verbunden ist mit dem Ganzen, und entsprechend ganz andere Entscheidungen treffen würde, und umgekehrt eine Frau, die mit ihrer Schoßkraft in Kontakt ist, die steht ganz anders in der Welt, und die kann man auch nicht einfach so umpusten.

Dieses Gespräch könnt ihr als Podcast nachhören.  Idealerweise abonniert ihr uns auf Spotify.  Wer gerne weiterlesen möchte, hier geht es zum 2ten Teil

In der Serie “Unlearning patriarchy” verlernen wir uns beigebrachte Geschichte und lernen sie aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten. Das Schreiben einer gemeinsamen „We-Story” beginnt damit die alten Geschichten zu verlernen. Sanft, freundlich und vor allem mit dem Vorsatz wenig zu werten.

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