Article by Juno Moneta

Hysterisch, esoterisch oder sind wir alle nur traumatisiert?

Offen, ehrlich und schonungslos reden Uma und Nives wieder über das große Ganze. Warum wir als Gesellschaft von der Emotion zur WE-motion kommen müssen, könnt ihr in diesem Artikel nachlesen. Aber zuvor geht es wieder um die Analyse des Ist-Zustandes. Was hat die Urli Oma von Uma alles mitmachen müssen und lässt sich da eigentlich, drei Generationen später, schon Veränderung  spüren?

 

“Das Patriarchat ist so tief in uns verankert, dass wir gar nicht wissen, wie fangen wir das an? Durch das Co-Sensing, also durch das Betrachten, gemeinsam, ohne Wertung, was im System vor sich geht. Und das können wir uns jetzt schönreden oder nicht.”

 

Wir sind aber davon überzeugt, dass wir alle das System mitkreieren und alte Muster verändern können.

 

Gently and kind, unlearnig patriarchy.

Nives: Österreich ist übrigens das Land in Europa, dass die höchste Prozentzahl an konservativen Ehebeziehungen hat. Damit sind traditionelle Beziehungen gemeint, wo die Frau freiwillig sagt, ich möchte zuhause bleiben nach den Kindern. Hier in Österreich leben 80 Prozent der Menschen, die verheiratet sind, in diesen traditionellen, katholisch geprägten Formen von Ehe.

Uma: Die Frau bleibt zuhause, das ist ja auch gut.

Nives: Der Mann muss mehr Geld verdienen. Dann gibt es das kleine Häuschen, dann gibt’s den Hund und mindestens zwei Kinder. Das Ding ist, oft hinterfragt keiner, ist das wirklich das, was ich will? Ist das wirklich das, was ich spüre für mich?

Uma: Es wird dir gesagt, wenn du das so machst, dann bist du auch ein ordentliches Mitglied der Gesellschaft. Andererseits bist du halt eine Schlampe oder Hure, wenn du es nicht so machst. Meine Urgroßmutter, die war zum Beispiel dreimal verheiratet. Mein Vater hat über die immer gesagt: “Das ist eine Schlampe.” Ich kenne ganz viele Männer, die,  sobald eine Frau ihr Ding macht, sie als Schlampe oder Hure bezeichnen. Vielleicht bin ich auch im falschen Freundeskreis. Also sobald Frau sich weigert, nett zu sein und diese Stammtischweisheiten nicht akzeptiert, wird sie runtergemacht. “Na geh bitte? Verstehst du keinen Spaß?” Sobald man da dagegen ist, wird man vom Gesamtsystem als Problem betrachtet.

Nives: Und wieso? Weil es ungemütlich ist. So eine Frau ist einfach ungemütlich, weil sie dich hinweist auf Dinge, die einfach nicht passen. Das macht natürlich Angst, solche Frauen, die in diese Kraft kommen. Wir können sie Kali oder Lilith-Kraft nennen, oder Hekate oder wie auch immer.

Uma: Da würden wir jetzt wieder als Esoterikerinnen abgewertet?

Nives: Nein, weil das sind C. G. Jung Archetypen der Seele.

Uma: Aber prinzipiell, wenn wir das jetzt irgendwo erzählen.

Nives: Oder als Frau, wie geht es dir denn kurz vor der Mens? Bist du da süß und lieb und nett oder kannst du auch wütend sein?

Uma: Da hören viele Frauen dann: Du bist psychisch krank.

Nives: Hysterisch.

Uma: Hysterisch. Da haben wir auch Umfragen gemacht. Eigentlich hören das dann ganz viele Frauen.

Nives: Wir stehen da erst am Anfang von etwas Gr0ßem.

Uma: Wir stehen wirklich am Anfang.

Nives: Ich glaube es ist wichtig, dass Frauen lernen zu sich zu stehen. Das erfordert Mut, zur eigenen Wahrheit zu stehen, und ehrlich zu sein.

Uma: Ehrlich zu sein, und sich auch verletzlich zu zeigen. Wir werden ja auch noch mit dem Thomas Hübl, einem internationalen Trauma-Experten, über unser kollektives Trauma sprechen, das wir ja alle miteinander haben. Wir sind keine getrennten Einheiten, wir haben alle miteinander dieses System erschaffen. Das ist wie, wenn ich jetzt in einer Firma bin und alle Kollegen und Kolleginnen blöd finde. Das ist auch Bullshit, weil wir alle kreieren diese Welt ständig mit, und die Welt ist kollektiv traumatisiert. Wir haben auch alle die Verbindung zu uns selbst verloren. Deshalb braucht es diesen Mut, um dem Erschöpfungszustand zu entkommen. Die meisten Frauen sind erschöpft. Da braucht es halt auch neue Medienplattformen. Deshalb sind wir auch eigentlich da. Um eine neue Form des Dialoges zu erschaffen. Es besteht halt die Gefahr , dass wir am Cover der Krone landen, mit der Headline „Die nächste Alice Schwarzer“. Bashing, Hate Speech, Diffamierung – das nehmen wir in Kauf. Da stellt sich wieder die Frage: Wofür stehe ich? Ich denke es ist wichtig, dass man sich selbst nicht mehr belügt. In welchem Lebensbereich auch immer. Jedes Mal, wenn ich mich als Frau selbst belüge, bekomme ich das zu spüren. Der Körper lügt nie. Das heißt, es gilt wirklich die Dinge, die einfach schmerzhaft sind anzugehen. Egal ob in der Vaterbeziehung, in der Mutterbeziehung, in der Beziehung zum eigenen Körper, in der Beziehung zum Männlichen oder zu Freundinnen. Eben die Dinge, wo du einfach spürst: Hey, das passt nicht, das ist nicht etwas, das ich für mich fühle. Wir haben, wenn wir es logisch betrachten, alle so eine innere Weisheit. Die ist verbunden mit etwas Höherem. Das heißt, jeder und jede weiß am Ende des Tages, wenn er oder sie in den Spiegel schaut: Ich belüge mich selbst.

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Uma: Spätestens am Totenbett.

Nives: Spätestens am Totenbett, und das ist wichtig. Wenn wir in eine neue Gesellschaft gehen wollen, mit neuen Werten, dann ist Wahrheit und Ehrlichkeit ein wichtiger Parameter.

Uma: Oder auch, wie der Otto Scharmer so schön sagt: “Das Patriarchat ist so tief in uns verankert, wie fangen wir das an?” Durch das gemeinsame Co-Sensing nennt er das, also durch das Betrachten ohne Wertung, was im System vor sich geht. Das können wir uns schönreden oder nicht. Es können hier Frauen sitzen, die sagen: Na geh bitte, bei mir ist das überhaupt nicht so. Tatsache ist, dass der Preis der Weiblichkeit mit ungeheurem Preis zu bezahlen ist. Die Basis der kapitalistischen Ökonomie besteht aus der Ausbeutung der Frau durch Care-Arbeit. Dieser kompletten Entmachtung und Entwertung müssen wir uns als Gesellschaft bewusst sein.  Anstatt immer zu sagen: “Na, geh bitte.” oder “Sauf ma uns an.” Ich glaube, wir wollen uns das nicht mehr schön saufen, wir haben uns das auch schon lange genug schön gesoffen.

Nives: Ich nicht!

Uma: Achso, du nicht! Ja wir, also in der Redaktion, schon. Wir haben uns viel schön gesoffen. Du bist nicht dem Alkohol als Betäubungsmittel verfallen.

Nives: Nein, das war zwischen 20 und 30 eher Drogen. Wenn man sich Suchtmitteln zuwendet, dann sucht man eigentlich etwas. Aber du katapultierst dich weg aus dem, was da ist, und aus dem Körper und aus dem, wie du dich fühlst. Zurück zur Weiblichkeit: Was sind denn jetzt weibliche Qualitäten, die unsere Gesellschaft vielleicht wieder brauchen würde? Wenn wir uns das ganz biologisch mal anschauen, ein weiblicher Körper gebärt ja ein Kind. Wie wäre es denn mit Gemeinschaftssinn? Dann zyklisches Bewusstsein, also dass wir nicht von A nach B gehen und linear und stur einem blinden Wirtschaftsplan folgen, sondern dass wir erkennen, das Leben ist in Zyklen, und wie kann ich im Zyklus beobachten. Eine Beziehung, eine Arbeit, meinen Job, meine Lebensphasen.

Uma: Aber du meinst Zyklus in Form von einmal auf, einmal ab, wie das Meer, oder Ebbe, Flut.

Nives: Mein Körper, zum Thema Erschöpfung, hat bestimmte Zyklen. Wenn mein Sympathikus ständig aktiv ist, bedeutet das Stress und dann putsche ich ihn noch hoch mit Kaffee und am Abend dann mit Alkohol. Alkohol ist ja noch das Mildeste, in Zeiten wie diesen, wo Psychopharmaka überall sind. Stattdessen wäre es besser, ich gebe mir Ruhephasen in meinem Leben. Ich schau nach innen.

Uma: Aber das schaffen ja viele Frauen nicht, die emotionale, körperliche und zeitliche Ressourcen opfern.

Nives: Aber es reicht doch auch einmal, fünf Minuten auf der Couch zu sitzen und nichts zu tun.

Uma: Netflix zu schauen.

Nives: Nein, nichts zu tun.  Und Mitgefühl ist sehr-

Uma: Mit sich selbst vor allem!

Nives: Mit sich selbst, ist eine sehr weibliche Qualität. Wir brauchen keine Gewalt, wir müssen nicht besser sein, wir müssen uns nicht hochkämpfen. Jeder hat einfach bestimmte Talente und Fähigkeiten. Ich glaub, was jetzt auch die Firmen betrifft, ist die große Herausforderung, wer hat welche und wen besetzte ich auf seinen richtigen Platz? Und dann fällt das alles weg, wenn ich denke, ich muss mich nach oben kämpfen, weil ich will nur diese eine Position. Vielleicht bist du gar nicht für diese Position geeignet.

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Uma: Ich hab das einmal dem ZiB-Außendienstchef Andreas Pfeifer vorgeschlagen, dass wir nach jeder ZiB sagen könnten: Haben Sie einfach Mitgefühl mit sich selbst. Der hat mich natürlich komisch angeschaut. Aber ich glaube schon, dass die Medien als Kanal einen Unterschied machen. Deshalb möchten wir das jetzt auch hier sagen. Also erstens einmal an die Männer: macht euch bewusst, dass die patriarchale Dividende, euch Macht verspricht, wenn ihr im System mitspielt. Das heißt auch, Frauen klein machen, entwerten und sie immer ein bisschen deppat hinstellen.
Wir wollen eigentlich ein System Culture Creating betreiben, das einmal selbst erkennen muss, wie die eigene Kultur entstanden ist, und, dass wir beraubt worden sind, um unsere Kultur. Männer haben sich Kleider angezogen, das nächste Mal beim Gottesdienst schauen Sie sich das schöne Kleid von Ihrem Pfarrer an, sind meistens sehr schön Gold und Rot, vielleicht sollten wir uns einmal eins ausborgen, verteilen die Sakramente, sakra, Heilige Menstruation, und haben am Kopf die Gebärmutter. Wir sitzen dort und lassen uns dann diese Hostie geben und sagen: Ich entsage dem Satan. Ich sage nur, dass wir uns das einmal bewusst machen.

Nives: Genau. Ich glaube, das große Problem in Europa ist, dass wir hier eine Entwurzelung erlebt haben, von unseren Urvölkern, und das waren die Slawen, die Kelten und die Germanen. Wenn wir uns da anschauen, was Weiblichkeit war, vor katholischer, orthodoxer oder wie auch immer geprägter Christianisierung, dann ist es interessant, zu schauen, welche Göttinnen gab es da? Wenn man auf der Suche ist, was Weiblichkeit denn alles sein kann, ist es schön, sich auch mit den alten Göttinnen zu beschäftigen und zu sagen: Okay, es gibt Tage, da fühle ich mich wie Aphrodite und bin voll in meiner Sinnlichkeit und in der Sexiness, und dann gibt es Tage, da fühle ich mich einfach nur wütend, und auch das hat seine Berechtigung und seinen Ausdruck. Das ist alles einfach nur ein Teil von kreativem Ausdruck und kreativem Leben. Wir sollten uns die Natur anschauen, unsere erste und einzige Lehrerin aus meiner Sicht, denn wir sind noch immer Naturwesen. Dann können wir das eher lernen. Ich glaube, wenn wir gesamtgesellschaftlich mehr wieder zurückkommen, zu erkennen, was sind denn die Naturgesetze vom Leben, nämlich zum Beispiel der Zyklus, von oben nach unten und wieder zurück.

Uma: Auch der Tod wird dämonisiert.

Nives: Gerade jetzt wird er dämonisiert und wir tun alles erdenklich mögliche, um dem Tod auszuweichen. Wenn wir da einfach wieder in eine Einfachheit kommen, ehrlich zu uns selbst sind und unsere Körper wieder fühlen. Also weg aus dem Schädel, wir denken alle viel zu viel.

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“Dieser Change-Prozess braucht ja auch neue kulturelle Anker oder Inputs.”

Uma: Du gibst drei Dinge in diese neue Kultur rein. Was gibst du rein? Dieser Change-Prozess braucht auch neue kulturelle Anker oder Inputs.

Nives: Ja, also ich glaube, eine tiefe Verankerung mit sich selbst zu finden und einen Glauben. Egal, in welcher Tonart der gefärbt ist, aber an etwas zu glauben, das unabhängig von irgendwelchen äußeren Konstanten existiert.

Uma: Also an etwas Spirituelles?

Nives: Ja, Seele oder whatever, einfach nur um zu wissen, wer bin ich und was mach ich hier? Also, wer bin ich wirklich?

Uma: Also Spiritualität in irgendeiner Form zu finden.

Nives: Genau, auf jeden Fall. Dann eine Technik, um den Kopf zu beruhigen. Du kannst das Meditation nennen. Um rauszukommen aus diesem ständigen Kopflastigen.

Uma: Hirnwichsen?

Nives: Hirnwichsen, ja. Das kann auch irgendeine Praxis sein, die dich in den Körper bringt. Denn der Körper lügt nie.

Uma: Das Trauma sitzt im Körper

Nives: Das Trauma sitzt im Körper, und wir denken es uns oft zu schnell weg. Was ich noch reingeben würde, ist Herzbildung, Herzensbildung. Also wie komm ich in mein Herz. Ich mache das mit dem tantrischen Yoga und mit meinen Techniken. Wie entwickle ich meine Persönlichkeit auf der Basis, nicht von Trennung, Angst, Rassismus und Segregation. Sondern, wie komme ich in diese Qualität von Mitgefühl und den anderen so sein lassen können, wie er ist.

Uma: Aber dazu müssen wir auch einmal unsere Tränen weinen, die halt ungeweint sind, und Trauma Erlösung-

Nives: Ja, also Trauma Erlösung ist sicher etwas, das dich dein ganzes Leben begleitet. Essenziell ist, dass es nicht nur um das Reparieren an sich geht. Ich glaube, der Weg da ist ewig. Und es gibt kein Ziel zu erreichen, sondern es geht einfach nur darum, kann ich ein besserer Mensch werden? Wie kann ich ein besserer Mensch in meinen Beziehungen werden?

Uma: Es geht nicht mehr um Emotions, es geht um We-Motions. Es geht um das Gemeinsame, es geht um eine Wir-Kultur, es geht um eine Schwarmintelligenz. Das weiß auch mittlerweile das Zukunftsinstitut, und ist dabei eine große Inspiration. Wie können wir uns da einfach als Gesellschaft aus einem System rausbewegen, das nicht mehr zeitgemäß ist und niemandem guttut.  Wir sind da jetzt nicht die Göttinnen, die von oben herab predigen und irgendwie einsam in irgendwelchen Yoga-Asanas sitzen, sondern wir wollen ja auch wirklich ein bisschen im Dreck wühlen.

Nives: Genau. Ich glaube Authentizität ist ein Schlagwort auch für die neue Welt.

Uma: Ja, danke Nives. Und wir sagen das jetzt, was wir der ZiB auch gesagt haben: Bitte, alle, Mitgefühl mit uns selbst in diesem Prozess. Und in diesem Sinne: Baba!

 

Dieses Gespräch könnt ihr als Podcast nachhören.  Idealerweise abonniert ihr uns auf Spotify. Leseratten können den ersten Teil des Interviews “Sei sexy, sei nicht sexy, sei still! Die Geburtsstunde von Thewildgoldenegg”.nachlesen.

In der Serie “Unlearning patriarchy” verlernen wir uns beigebrachte Geschichte und lernen sie aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten. Das Schreiben einer gemeinsamen „We-Story” beginnt damit, die alten Geschichten zu verlernen. Sanft, freundlich und vor allem mit dem Vorsatz wenig zu werten.

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