Article by TWGE Redaktion

Mentale Gesundheit im Patriarchat: Herausforderungen und Wege zur Resilienz

Unsere mentale Gesundheit wird von vielen verschiedenen Faktoren beeinflusst. Gesellschaftliche und ökonomische Strukturen beeinflussen unser psychisches Wohlbefinden dabei genauso wie geschlechterspezifische Konstrukte. Das Patriarchat oder auch die Männergesellschaft, in der wir leben, kann eine instabile psychische Verfassung begünstigen. Geschlechterstereotype, Sexismus, Machtunterschiede, Vorurteile sowie überholte Erwartungshaltungen betreffen nicht nur FLINTA*-Personen, sondern auch Cis-Männer. Können wir im Patriarchat überhaupt mental gesund bleiben?

 

ZU UNSEREN WORKSHOPS

 

Das Patriarchat, ein soziales System, das männliche Dominanz und Normen perpetuiert, hat unterschiedliche Auswirkungen auf unsere mentale Gesundheit. Vor allem Personen, welche nicht den traditionellen Geschlechterrollen und -stereotypen entsprechen, sind immer noch mit Diskriminierung und Stigmatisierung konfrontiert. Viele Individuen stehen unter dem Druck, bestimmten gesellschaftlichen Erwartungen gerecht zu werden, was wiederum ihre emotionale Gesundheit beeinträchtigen kann. Doch welche Erwartungen hat das Patriarchat überhaupt an die Gesellschaft und welchen überholten Normen müssen Individuen entsprechen, um in diesem System einigermaßen zu funktionieren?

Die Sache mit der Normschönheit: Ist #PrettyPrivilege real?

Jung, schön und schlank. Unerreichbare Schönheitsideale stürzen alle Geschlechter in Selbstzweifel und Unsicherheit. Vor allem bei der jüngeren Generation steigt der Druck, permanent schön zu sein. Soziale Netzwerke wie Instagram oder TikTok verstärken diese Entwicklung und überschwemmen junge Menschen tagtäglich mit unerreichbaren und ungesunden Schönheitsnormen. Wohl auch deswegen scheint die Anzahl der durchgeführten Schönheitsoperationen stetig zuzunehmen. Eingriffe wie beispielsweise eine Nasenkorrektur, Brustvergrößerung oder aufgespritzte Lippen werden demnach immer beliebter. Das Alter der Patient:innen, die sich Schönheitseingriffen unterziehen, ist in den letzten Jahren erheblich gesunken. Aber auch Essstörungen sind die Folge von übertriebenen Körperkult, Schönheitsdruck und Schlankheitswahn. Auch hier scheinen zunehmend jüngere Personen zu erkranken, häufig im Alter zwischen 11 und 18 Jahren.

Auf TikTok kursiert bereits seit längerem der Hashtag #PrettyPrivilege. Dabei wird über die Vorteile und Privilegien diskutiert, die Menschen aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes und ihrer körperlichen Attraktivität genießen können. Es handelt sich um ein soziales Phänomen, bei dem Menschen, die als attraktiv angesehen werden, oft in verschiedenen Bereichen des Lebens bevorzugt und besser behandelt werden. Menschen mit „Pretty Privilege” haben oft einen vereinfachten Zugang zu potentiellen Chancen und Möglichkeiten im Berufs- und Privatleben. So haben Studien gezeigt, dass attraktive Menschen tendenziell höhere Gehälter verdienen, in der Arbeitswelt erfolgreicher sind und auch als kompetenter wahrgenommen werden.

Klicken Sie auf den Button, um den Inhalt von TikTok zu laden.

Inhalt laden

#Heteronormativität

Heteronormativität beschreibt ein gesellschaftliches Ordnungssystem, welches ausschließlich zwei Geschlechter akzeptiert. Diese beiden Geschlechter stehen in einem hierarchischen Verhältnis zueinander. Dabei wird Männlichkeit über Weiblichkeit gestellt. Gleichzeitig setzt Heteronormativität eine Übereinstimmung des biologischen und psychosozialen Geschlechtes sowie das (heterosexuelle) Begehren des jeweils anderen Gegengeschlechtes voraus.

Heterosexualität gilt in unserer Gesellschaft immer noch als die Norm oder als „normal“. Sie ist nicht bloß häufig, sondern gilt auch als der gesellschaftliche Standard. Da sie großteils erwartet oder gar vorausgesetzt wird, muss sie auch nicht erklärt werden. Anders sieht es diesbezüglich bei homo- oder bisexuellen Menschen aus. Auch wenn die rechtliche Gleichstellung und die Antidiskriminierung von homo- und bisexuellen Menschen (teils) immer weiter voranschreitet, scheint ihre Sexualität immer noch das Abweichen von der geläufigen gesellschaftlichen Norm darzustellen, welche im Gegensatz zur Heterosexualität häufig erklärt werden „muss“. Dies führt unter anderem zur Ausgrenzung von Personen, die dieser Ordnung nicht entsprechen, was wiederum negative Auswirkungen auf ihre mentale Gesundheit zur Folge haben kann. Dazu gehören beispielsweise Bisexuelle, Lesben, Schwule, Trans*Personen sowie nicht-binäre Menschen.

Das patriarchale Familien-Ideal: Ehe, Haus und Kinder

Immer noch wird die institutionalisierte Paarbeziehung (Ehe) als gesellschaftliche Norm angesehen. Irgendwann sesshaft zu werden – am besten mit Haus und Kindern – scheint für viele immer noch die Idealvorstellung in Bezug auf ein glückliches und erfülltes Leben zu sein. Auch wenn sich diese Strukturen innerhalb der jüngeren Generation gerade ein wenig auflösen und verändern, ist das Bild der harmonischen und glücklichen Familienidylle dennoch weit verbreitet. Individuen, die nicht nach diesem Ideal streben, also beispielsweise keine Kinder oder nicht heiraten bzw. sich langfristig an einen Partner oder eine Partnerin binden wollen, werden häufig in ihren Entscheidungen angezweifelt oder von der Gesellschaft nicht ernst genommen.

Interessanterweise zeigen Studien, dass die psychische Gesundheit von Männern in der Ehe tendenziell zunimmt, während sie von Frauen eher abnimmt. Paarbeziehungen und ihre Dynamiken können unter anderem Depressionen, Schizophrenie, Anorexie, Angsterkrankungen und Borderline-Persönlichkeitsstörungen begünstigen. Die Ehe mit Männern sei für Frauen also ein Risikofaktor in Hinsicht auf die potentielle Entwicklung von psychischen und mentalen Erkrankungen.

Viele Autor:innen fordern deswegen eine Abschaffung der Ehe, darunter auch Emilia Roig. Für sie ist die Ehe eine patriarchale Institution, die zur Festigung von Geschlechterungleichheiten beiträgt. In ihrem provokanten Buch „Das Ende der Ehe“ legt sie die Ehe als wichtige Stütze des Kapitalismus dar, die uns in binären Geschlechterrollen verharren lässt. Die Ehe würde Beziehungen und die Familie normieren und unsere Sexualität, unseren Besitz sowie unsere Arbeitskraft kontrollieren. Laut Roig wäre eine Abschaffung der Ehe nicht nur für Frauen förderlich, sondern für alle. Denn nur dann haben wir die Möglichkeit, Liebe frei und auf gleicher Augenhöhe zu betrachten und auch zu leben.

Patriarchat verstärkt psychische Krankheiten

Vor allem Frauen leiden unter den Folgen des Patriarchats. Der Geschlechterunterschied, also die vielen Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten, die Frauen aufgrund der bestehenden patriarchalen Strukturen ausgesetzt sind, ist enorm. Frauen sind häufiger von Armut betroffen, verdienen weniger, erhalten eine geringere Pension oder erleben häufiger (sexualisierte) Gewalt. Zudem übernehmen Frauen einen erheblichen Anteil an unbezahlter Hausarbeit sowie die Pflege von Kranken und Angehörigen. Diese männerdominierte Gesellschaft mache psychisch krank. So leiden Frauen im Vergleich zu Männern etwa doppelt so häufig an Depressionen. Dies und noch mehr analysiert die Wienerin Beatrice Frasl in ihrem Buch „Patriarchale Belastungsstörung“.

Aber auch Männer sind von den Folgen und Strukturen des Patriarchats betroffen. Zwar werden psychische Erkrankungen häufiger bei Frauen diagnostiziert, allerdings sind Männer gefährdeter, an einer solchen zu sterben. Dies liegt vor allem daran, dass sich Männer seltener Hilfe suchen als Frauen. Psychische Erkrankungen bleiben bei ihnen deshalb öfter unerkannt. Warum das so ist? Bereits im jungen Alter wird vielen Burschen ein (toxisches) Bild von Männlichkeit vermittelt. Sie müssten stark sein, ihr emotionales Leid unterdrücken und mit ihrem Schmerz alleine klarkommen. Dies führt dazu, dass vielen Männern im Erwachsenenalter ein Ventil für den Schmerz fehle, was fatale Auswirkungen zur Folge hat. Neben körperlichen Beschwerden können erhöhte Aggressionen, Gewaltbereitschaft und Alkoholmissbrauch in ihrem Verhalten einhergehen. Umso wichtiger ist es, dass auch Männer lernen, über ihre Gefühle zu sprechen und sich im Krisenfall Hilfe holen.

Klicken Sie auf den Button, um den Inhalt von TikTok zu laden.

Inhalt laden

Das Patriarchat birgt Risiken für die mentale Gesundheit aller Menschen. Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen führen dazu, dass insbesondere FLINTA*-Personen besonders gefährdet sind, unter den Folgen des Patriarchats zu leiden. Gerade deshalb ist es wichtig, die Auswirkungen des Patriarchats auf die emotionale Gesundheit anzuerkennen sowie Geschlechterstereotype und die binäre Geschlechterordnung zu hinterfragen. Indem wir uns aktiv für Gleichberechtigung einsetzen, patriarchale Strukturen aufbrechen und ein gesellschaftliches Bewusstsein für unsere mentale Gesundheit schaffen, können wir eine inklusivere Gesellschaft gestalten, in der alle Menschen, unabhängig von ihrem Geschlecht, ihr volles Potenzial entfalten und ihr psychisches Wohlbefinden stärken können.

Share the wild and golden content