Article by Stefan Feinig

Das Golden Penis-Syndrom: Wie das Patriarchat die Entwicklung der Bevölkerung bestimmt

Angebot und Nachfrage. Golden Penis-Syndrom, Frauenüberschuss, der demografische Grundwiderspruch, die Geschichte des Patriarchats aus der Perspektive der Demografie und was das alles mit unseren Beziehungen zu tun hat.

Golden Penis-Syndrom – Dating der US-Middle Class

Das vor kurzem in Erscheinung getretene Phänomen Golden Penis-Syndrom bezeichnet ein Dating-Phänomen aus den USA, das hauptsächlich heterosexuelle Männer aus dem universitären Leben betrifft. Worum geht es? Jon Birger hat dieses vermeintliche Syndrom in seinem Artikel etwas genauer untersucht und ist dabei auf folgende Erkenntnis gestoßen:

Beim Golden Penis-Syndrom geht es darum, dass ein demografisches Ungleichgewicht der Geschlechter dazu führt, dass das sich in der Minderheit befindende Geschlecht viel mehr (sexuelle) Auswahlmöglichkeiten hat, als umgekehrt. Das nennt man dann wohl die Magie aus Angebot und Nachfrage. Auch was Liebesbeziehungen betrifft, kann die Minderheit sozusagen aus dem Vollen schöpfen, während sich die Mehrheit um eine limitierte Anzahl bemühen muss. Beim besagten Syndrom geht es nun darum, dass Männer ein (zu) großes Ego entwickeln, wenn sich mehrere Frauen für sie interessieren.

Dies bedeutet, dass viele Frauen um wenige (gebildete) Männer „konkurrieren“. Männer umgekehrt jedoch mehr Auswahl genießen und aufgrund des daraus sich aufblasenden Egos zu Arschlöchern mutieren. So das knappe Fazit von Jon Birgers Bericht.

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US-College Life – Willkommen im Reich der akademisierten Ego-Dödel

Dieses Golden Penis-Syndrom tritt vor allem an US-amerikanischen Colleges auf. Denn laut einer Studie sind fast 60 Prozent der Studierenden in den USA Frauen. Und das ist nur ein Durchschnitt. Man denke vor allem an geisteswissenschaftliche Studienzweige, wo das Verhältnis noch einmal um einiges dramatischer ausfällt. Studien belegen sogar, dass Frauen mit einem höheren Bildungsabschluss eher mit ähnlich oder noch gebildeteren Männern ausgehen wollen. Fair enough! Das führt nun natürlich dazu, dass Männer mit höheren Abschlüssen auf dem Dating-Markt recht begehrt sind, wie man sich denken kann.

Da diese popular demanded men nun aber in der Unterzahl sind und so etwas wie Seltenheitsstatus genießen (im Vergleich zu der größeren Anzahl an gebildeten Frauen), erhöht sich natürlich auch die Nachfrage nach diesen. Zugleich ist aber auch das Angebot begrenzt. Wenn Männer darüber auch noch Bescheid wissen, ist eine recht unvorteilhafte Entwicklung des männlichen Egos vorprogrammiert.

Vom Golden Penis-Syndrom zum globalen Patriarchat

Dass das Phänomen des Golden Penis-Syndrom in diesem Sinne nur die (Penis-)Spitze des Eisbergs ist, darüber hat Helmut Knolle ein spannendes Buch geschrieben, in dem er die Entstehung und Geschichte des Patriarchats aus der Perspektive der Demografie erklärt. Denn ein Blick auf die Bevölkerungsgeschichte verdeutlicht, dass es „lange Zeit einen Frauenüberschuss auf dem Heiratsmarkt und folglich eine große Zahl von »alten Jungfern«“ gab. Vor allem der typische Altersunterschied zwischen Ehepartnern (damals) produzierte in den monogamen Gesellschaften einen permanenten Frauenüberschuss auf dem Heiratsmarkt. Dieser Umstand hatte großen Einfluss auf die Verhaltensmuster von Frauen und Männern. Laut Knolle gibt es daher einen „demografischen Grundwiderspruch“ im Patriarchat, welcher besagt, dass umso eifriger „die Mehrheit der Frauen die Forderung erfüllt, früh zu heiraten und viele Kinder zu haben, desto größer ist die Minderheit, die ledig und kinderlos bleibt.“ Über die Jahrhunderte hinweg – wie Knolle seinen demografischen Bogen spannt – konnten Männer also immer aus einer großen Anzahl an Frauen wählen. Ganz egal, ob die Zahl an gleichaltrigen Männern und Frauen ident war.

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Care-Arbeit für Frauen – Eine demografische Konsequenz

Aus genau diesem demografischen Grund war es auch einfach, den „übriggebliebenen“ Frauen die Care-Arbeit für die Alten und Kranken aufzubürden. „Es ist also klar, dass das Patriarchat bis weit ins 20. Jahrhundert hinein das Bevölkerungswachstum in Europa und Amerika verstärkt hat.“ Durch genau dieses Wachstum wurde es auch gestützt. Ein Zusammenhang, der nicht offensichtlich war. Doch wie Knolle erläutert: „Der große Altersunterschied zwischen Ehepartnern, der früher üblich war, und der durch das Wachstum bedingte Altersaufbau der Bevölkerung brachten nämlich gesetzmäßig einen Frauenüberschuss auf dem Heiratsmarkt hervor. Aber in einer Gesellschaft, in der außereheliche Liebe für Frauen tabu war und ledige Frauen schlechter gestellt waren als Ehefrauen, wollten fast alle heiraten. Und da es weniger heiratswillige Männer als heiratswillige Frauen gab, neigten die Frauen früher zur Heirat und zur Anpassung an das Patriarchat.“

Männer waren gezwungen später zu heiraten

Warum heirateten Männer jedoch später als Frauen? Früher mussten eine Heirat und der Nachwuchs aufgrund der finanziellen Umstände (Mann als Ernährer!) so lange aufgeschoben werden, bis der Bräutigam ein Vermögen erworben hatte. „Wenn er Schwestern hatte, musste er warten, bis diese verheiratet waren. War der Vater gestorben, dann mussten oft die Söhne ihre Heirat aufschieben, bis die Mutter wieder geheiratet hatte. All das drückte das Heiratsalter der Männer nach oben. Ein Altersunterschied zwischen Ehepartnern von gut zehn Jahren könnte also die Regel gewesen sein.“, errechnet Knolle in seinem Buch. Gekoppelt wurden diese Umstände auch noch mit der Tatsache, dass hinter jedem Mann der Staat fungierte – mit seinem natürlichen Interesse am Wachstum der Bevölkerung. So konnte das Patriarchat seine Herrschaft stabilisieren. Die Ausbeutung der weiblichen Fruchtbarkeit ist der ursprünglichste und war lange Zeit der wichtigste Zweck des Patriarchats, welches sich in dieser Form erst nach dem Mittelalter herauskristallisierte.

Hexenverfolgung als rationale Politik des Bevölkerungswachstums

Denn im Mittelalter wurden Verstöße gegen das Fruchtbarkeitsgebot noch geduldet. Erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts ging die Papstkirche zu einer schärferen Politik über und vollzog mit Gewalt seine demografischen Vorstellungen. Viele Schritte davon – auch die im 16. Jahrhundert einsetzende und bis ins 18. Jahrhundert andauernde Hexenverfolgung – waren letztlich lediglich Instrumente einer rationalen Politik, die auf Bevölkerungswachstum abzielte, so Knolle. Dem Patriarchat ging es mit dieser Ideologie darum, Frauen zu bestrafen, die wussten, wie man Schwangerschaften und Geburten verhindern konnte, und die ihr Wissen anwendeten und weitergaben. Im Mittelalter waren das noch mehr Frauen, als man annehmen würde.

Auch die spätere patriarchale Medizin spielte bei diesem demografischen Plan mit, indem Frauen aus der Medizin ausschlossen und auch Hebammen Abtreibungen verboten wurden. „Die Lehre der Kirche, die Gesetze des Staates und eine frauenfeindliche Medizin wirkten also zusammen, um die Frauen zu einer frühen Heirat zu drängen und sie danach zum Gebärden vieler Kinder zu zwingen.“, bringt es Knolle auf den Punkt.

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Die demografischen Aspekte des Patriarchats

Egal ob in Kriegszeiten oder nicht, der Frauenüberschuss hielt sich konstant über die Jahrhunderte. Aber warum war das so? Das Ganze ist etwas komplex. Denn auch wenn es in jeder Altersgruppe etwa gleich viel Männer und Frauen gibt, kommt es zu einem „demografischen Grundwiderspruch“. Grund dafür ortet Knolle im Altersunterschied der Beziehungen selbst. Denn wenn die Ehen immer zwischen Gleichaltrigen geschlossen werden, dann wäre es rein numerisch möglich, dass Frauen nicht „übrigbleiben“. „In Wirklichkeit heiraten aber die Frauen im Mittel einige Jahre früher als die Männer. Würde dieser Altersunterschied fünf Jahre betragen, dann gäbe es in einer Bevölkerung mit diesem Altersaufbau etwa 20 Prozent mehr heiratswillige Frauen als Männer.“, erklärt Knolle.

Ein Frauenüberschuss am Heiratsmarkt entsteht somit immer dann, wenn die Bevölkerung wächst und wenn Frauen sehr viel früher heiraten als Männer. Fazit: „Je früher Frauen heiraten und je mehr Kinder sie gebären, desto mehr Frauen müssen ledig und kinderlos bleiben. Oder mit anderen Worten: Je eifriger die Mehrheit der Frauen die Forderungen des Patriarchats erfüllt, desto größer wird die Minderheit, die sie gar nicht erfüllen können.“

Partnerschaften heute

Es lässt sich immer noch erkennen, dass das höhere Heiratsalter der Männer – das schon in der klassischen Antike die Regel war – auch heute in westlichen und in islamischen Ländern immer noch vorherrscht. Auch hierzulande beträgt der durchschnittliche Altersunterschied bei zusammenlebenden Paaren rund vier Jahre. Das geht aus aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes hervor. In knapp drei Viertel der Partnerschaften (73 Prozent) ist der Mann älter als seine Partnerin. Bei 17 Prozent ist die Frau älter. Das mehr oder weniger klassische patriarchale Heiratsmuster existiert also noch.

Klar haben wir in der westlichen Welt diese heiratswilligen Zeiten lange schon hinter uns gelassen – in Lateinamerika und dem Rest der Welt herrschen diese Strukturen leider immer noch vor. Und ja, wir in unserer first world können es uns gut gehen lassen. Keine Frau ist mehr gezwungen, Kinder zu bekommen, wenn sie nicht will oder toxische Beziehungen zu führen. Oder etwa doch? Wählen wir heute wirklich schon vollkommen befreit unsere Beziehungen aus? Oder wirken da immer noch patriarchale Kräfte in uns?

In der westlichen Welt zumindest, scheinen sich die von Knolle erörterten und beängstigend extremen Sachverhalte normalisiert zu haben. Doch Tatsache bleibt, wie wir sehen, dass Männer immer noch die Älteren in den meisten Beziehungen sind. Damals wie heute sollten wir uns die Frage stellen, warum das überhaupt so ist und ob „das Vermögen anhäufen“ der Männer, das Karriere machen und jüngere Frauen heiraten, ebenso wie Frauen, die „ältere“ Männer heiraten, nicht immer noch patriarchale Strukturen sind. Warum herrscht dieser radikale Unterschied vor, wo wir mittlerweile ja frei entschieden können? Denn 73 Prozent ist nicht wenig. Wählen wir wirklich schon selbst? Oder ist es immer noch die tiefsitzende, vom Patriarchat injizierte Ideologie, die für uns wählt? Erst wenn diese Ideologie überwunden ist, sind Phänomene wie der Golden Penis-Syndrom-Guys keine wirklichen Probleme mehr, sondern nur noch ein Witz am Rande einer Party, für den sich niemand mehr interessiert.

In der Serie “Unlearning patriarchy” verlernen wir uns beigebrachte Geschichte und lernen sie aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten. Das Schreiben einer gemeinsamen „We-Story” beginnt damit die alten Geschichten zu verlernen. Sanft, freundlich und vor allem mit dem Vorsatz wenig zu werten.

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