Article by Magdalena Mösenlechner

Wieso Festivals nicht auf Frauen achten

Sommerzeit ist Festivalzeit! Besonders nach mehreren Jahren, in denen wir hauptsächlich im eigenen Wohnzimmer gefeiert haben, freuen wir uns über kühles Bier und gute Konzerte. Doch manche von uns verlieren etwas dieser Freude, sobald sie am Festival ankommen. Denn als Frau wird man bei der Organisation bei einigen Punkten nicht mitbedacht. Warum auch – wir machen nur etwa 50 Prozent der Bevölkerung aus.

Free the Pee

 

Die Sonne brennt, es wird getanzt – der Durst meldet sich. Besonders auf Festivals ist es wichtig genügend zu trinken. Das Problem dabei: irgendwann droht der Gang zur Toilette. Nachdem der durchschnittliche Hatscher von etwa einem halben Kilometer zurückgelegt wurde, bedeutet das für Frauen erst einmal warten. Denn es gibt nur in seltenen Fällen genügend WCs, vor allem bei geschlechtergetrennten Klos. Wer schon einmal morgens über eine Stunde anstand, um sich zu erleichtern, versteht diese Pein. Verständlich ist das ganze nicht, denn es ist keine neue Erkenntnis, dass Frauen rein biologisch öfter auf die Toilette müssen. Die Herumturnerei im Dixie-Klo, bei der sich über die Öffnung gehockt wird, während man panisch versucht, nicht die vollgepisste Sitzfläche zu berühren, beschleunigt das Ganze nicht wirklich.

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Blut und Schweiß

 

Wenn wir schon beim Thema sind: Es ist unangenehm, dass nicht vor allen Toiletten Waschbecken positioniert sind. Ja, Festivals sind räudig. Ja, dort wird ein paar Tage auf Sauberkeit gepfiffen. Aber es erschwert die Perioden-Hygiene immens, wenn es keine Möglichkeit zum Pfoten waschen gibt. Frauen und trans Personen suchen sich ihren Zyklus eben nicht aus. Da kann es schon vorkommen, dass man 30 Minuten mit Blut verschmierten Händen übers Festivalgelände laufen muss, was sich eher mittelprächtig anfühlt. Für Nutzende von Menstruationstassen gibt es online sogar Tipps, wie etwa das Auswaschen der Tasse mit Urin, wenn kein fließendes Wasser vorhanden ist. Immerhin warten manche Festivals mittlerweile mit Stylingzelten zum Föhnen, Schminken und Haare glätten auf. Weil die Optik aufzuhübschen sicher essenzieller ist, als die Möglichkeit grundlegende Hygiene-Bedürfnisse zu befriedigen.

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(Un)Sicherheit

 

Festivals sind auf gewisse Weise rechtsfreier Raum. Der Alltag wird zuhause gelassen, und niemand wird verurteilt. Egal ob jemand im Dinosaurier-Onesie herumläuft, eine Bacardi-Blumenkette am Hals hängen hat oder hitze- und alkoholbedingt die Wiese vorm Stage-Bereich zum Nickerchen-Ort auserkoren wird. Das ist auch gut so, denn jeder Spaß sollte erlaubt sein. Außer jemand anders kommt dadurch zu schaden. Was auf Festivals auch passiert. Jeden Tag.

Die Rede ist von sexuellen Übergriffen jeglicher Art. Selbstverständlich kann so etwas auch Männern passieren. In Österreich ist davon etwa ein Viertel der Männer betroffen. Bei Frauen liegt die Rate jedoch bei strammen 74 Prozent. Etwa zwei Drittel der weiblichen Festivalbesucherinnen fürchten sich dort vor Übergriffen. Das geht so weit, dass Frauen zeitweise den Marsch zu weiter entfernten Dixie-Klos nur zu zweit antreten, oder verfrüht von Konzerten zum Zelt gehen, weil sie dort nicht allein sein wollen. In Großbritannien haben sich jetzt über 100 Festivals zusammengeschlossen, um sexueller Belästigung den Kampf anzusagen.

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Wohin damit?

 

Und dann ist es passiert. Es stellt sich die Frage: Wo kann ich mich hinwenden? Wenn am Festival körperliche Verletzungen entstehen, dann gibt es Sanitäter:innen. Doch wer hilft einem bei sexuellen Übergriffen? Die Securitys sind selten für diese speziellen Fälle geschult. Zudem bestehen sie überwiegend aus Männern. Nach sexuellen Übergriffen sprechen jedoch manche lieber mit Frauen. Klar kann bei der dort präsenten Polizei ein Vorfall angezeigt werden, aber das allein ist etwas wenig. Die Opfer brauchen psychische Betreuung und akute Hilfe. Am Electric Love Festival gibt es mittlerweile ein Seelsorge-Team, jedoch von einer kirchlichen Institution, was für einige beim Gespräch eine Hürde darstellen kann. Ein positives Beispiel stellt das Donauinselfest. Dort werden mehrere Hundert Mitarbeiter:innen speziell auf den Umgang mit solchen Vorfällen geschult. Vor Ort erkennt man sie an Buttons mit der Aufschrift „Hilfe bei Belästigung“.

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Andere Veranstaltungen warten mittlerweile mit ähnlichen Konzepten auf. Bei den Sex-Positive-Partys von Hausgemacht gibt es etwa ein 50-köpfiges Awareness-Team. Die Mitglieder bewegen sich mit Lichterketten verkleidet durch die Veranstaltung und greifen bei Belästigung ein. Außerdem haben sie ein offenes Ohr für jeden und jede, falls sich jemand unwohl fühlt. Dabei wird auch etwa auf die Sicherheit von queeren und trans Personen geachtet. Auch in Wiener Clubs wie dem Werk finden sich speziell geschulte Securitys, die wissen, wie mit sexueller Belästigung und Übergriffen umgegangen wird. Hier argumentieren Festival-Veranstaltende mit der Kosten-Frage. Jedoch muss überlegt werden, ob an die Sicherheit von Besucher:innen tatsächlich ein Preisschild gehängt werden kann. Wenn dem so ist, dann kann auf das Festival gern gepfiffen werden.

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(K)Ein Blick auf die Bühne

 

Ein weiteres Problem ist das Sichtfeld bei den Bühnen. Die Durchschnittsgröße bei Frauen in Österreich liegt bei 1,66 Metern. Wer mit dieser Größe etwas sehen möchte, steht am Rand oder weit hinten. Auf vielen Konzerten und Festivals nützt aber auch das nichts. Ein eingeschränktes Sichtfeld ist zugegebenermaßen kein rein weibliches Problem, denn auch kleinere Männer sehen bei vielen Veranstaltungen nur Hinterköpfe. Es stellt sich die Frage, wieso Bühnen nicht höher angesetzt werden. Es mag sein, dass hier das Thema Statik beim Bühnenaufbau in die Quere kommt. Wobei Bands wie etwa Rammstein 40 Meter hohe Requisiten aufbauen, was dieses Argument etwas dünn erscheinen lässt.

Festival

Die Autorin dieses Artikels bei so ziemlich jedem Konzert, damit sie wenigstens für eine Minute die Bühne sieht, für die sie zwischen 40 und 200 Euro bezahlt hat. 

Frauen an die Mikros

 

Etwa 95 Prozent der Acts beim Rock am Ring in Deutschland waren Männer, ähnliche Zahlen finden sich beim österreichischen Novarock. Beim Schweizer Festival Moon&Stars trat kein einziger weiblicher Act auf. Frei nach Carolin Kebekus, hat bei diesen Festivals das Bier mehr Prozente als die Frauen. Das klassische Argument: Es gäbe einfach nicht so viele weibliche Acts, die wirklich bekannt sind. Doch wo beginnt all das? Um Bekanntheit zu erlangen, müssen Musikerinnen erst einmal gebucht werden und eine Bühne bekommen – auch wenn es nur die kleine Stage am Nachmittag ist. Besonders in Zeiten von Spotify und anderen Streaming-Anbietern sind Kunstschaffende zudem finanziell auf Auftritte angewiesen. Der Teufelskreis bestehend aus nicht gespielt und nicht gebucht zu werden blockiert aber die Möglichkeiten weiblicher Acts. Derzeit heißt es da wohl eher Rock around the Cock. Was die Besetzung von queeren Acts, trans Personen und Mitglieder der BIPoC-Community angeht, sieht es leider nicht viel besser aus.

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Wo „Kultur“ herrscht, gibt es auch Gegenkultur. Karolin Kebekus organisierte etwa im Juni ein Festival mit rein weiblichem Line-Up. Auch das Kollektiv Hausgemacht legt vor, denn mit der Veranstaltungsreihe „(K)eine Hexerei“ legen an diesen Abenden nur weibliche Acts auf. Dabei werden die Gewinne des Abends an die Wiener Frauenhäuser gespendet.

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In der Serie “Unlearning patriarchy” verlernen wir uns beigebrachte Geschichte und lernen sie aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten. Das Schreiben einer gemeinsamen „We-Story” beginnt damit die alten Geschichten zu verlernen. Sanft, freundlich und vor allem mit dem Vorsatz wenig zu werten.

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