Article by Magdalena Mösenlechner

Eva Biringer: Geschieden vom Alkohol

Eine toxische Beziehung, die einen langsam zugrunde richtet. Ständige Ausreden, die immer unglaubwürdiger erscheinen. Zahllose Lügen und leere Versprechungen. So beschreibt Eva Biringer ihre gescheiterte Liebe zum Alkohol. Im Gespräch mit The Wild Golden Egg erzählt die Journalistin und Autorin, wieso Alkohol in unserer Gesellschaft zu stark integriert ist, wie wir ihn zur Betäubung unserer Traumata nutzen und wieso nicht trinken sie zu einer besseren Feministin gemacht hat.

Eva Biringer ist Journalistin und Autorin. 2022 veröffentlichte sie das Buch „Unabhängig – Vom Trinken und Loslassen“, in dem sie ihre Alkoholabhängigkeit behandelt und das Thema Alkohol aus einer feministischen Perspektive beleuchtet.

Eine hochprozentige Liebschaft

 

The Wild Golden Egg: In deinem Buch schreibst du, dass Alkohol deine große Liebe war. Wie war eure Beziehung?

Eva Biringer: Es war auf jeden Fall eine toxische Beziehung. Also eine sehr abhängige Beziehung im wahrsten Sinne des Wortes. Ich war abhängig. Ich hatte wunderbare Momente mit Alkohol, keine Frage. Es gab tolle Partys und viel Aufregung. Reisen, die nur stattgefunden haben, weil ich auf den Reisen getrunken habe oder weil das der Anlass war. Zum Beispiel irgendwelche Wein-Reisen, Schnapsbrennereien-Besuche und Ähnliches. Ich hatte eine gute Zeit mit Alkohol, aber ich hatte eben auch viele schlimme Momente.

Man kann es wirklich mit einer Beziehung vergleichen. Es war Liebe auf den ersten Schluck. Als ich elf Jahre alt war, da war es Rum. Dieser schäbige Rum, den man eigentlich zum Backen verwendet. Meine Freunde mussten mir die Flasche aus der Hand reißen, weil ich nicht mehr aufhören wollte. Seither waren wir in einer Beziehung – der Alkohol und ich. Und wie das so ist, am Anfang überwogen die guten Momente. Je länger das ging, desto mehr schlechte Momente hatte ich mit ihm und am Ende eigentlich nur noch schlechte. Und trotzdem hat es sehr lange gedauert, bis ich mich davon losmachen konnte.

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The Wild Golden Egg: Der Rausch hat dich 19 Jahre begleitet. Dann plötzlich kam die Erkenntnis, dass die Beziehung zu beenden ist?

Eva Biringer: Leider nicht. Es war ein langer Prozess. Mit Anfang 20 saß ich beim Uni-Psychologen, und habe gefragt, ob es ein Problem ist, dass ich jeden Tag zwei Gläser Wein trinke. Ich hatte nicht jeden Tag einen Riesenabsturz, aber halt diese zwei Gläser Wein. Der Psychologe hat dann irgendwas erzählt von Systemtheorie, und hat mir einen Text von Daniel Schreiber mit in die Hand gedrückt. Ich wollte das auch gar nicht so richtig hören. Stattdessen ging es mir eher darum es mal laut gesagt zu haben, weil ich einfach ein sehr selbstreflektierter Mensch bin und immer dachte, das rettet mich auch, da ich ja wusste, dass ich ein Problem habe. Also klassischerweise ist es bei Alkoholabhängigkeit eher so, dass Leute durch ihr Umfeld darauf hingewiesen werden oder durch Ärztinnen und Ärzte. Bei mir kam die Kritik aber immer von mir selbst. Es gab kaum jemand, der gesagt hat: “Das ist zu viel oder du übertreibst es.” Ich dachte immer, dass mich das schützt, weil ich es eh im Blick habe.

The Wild Golden Egg: Wie hat es sich dann weiterentwickelt?

Eva Biringer: Es sind immer wieder blöde Sachen passiert. Kleinere und größere. Das ging von Portemonnaie verlieren bis hin zu Fahrrad-Unfällen. Hier ein blauer Fleck und da eine Prellung. Dann gab es auch einen sexuellen Übergriff in Wien im letzten Jahr bevor ich aufgehört habe. Ich habe danach trotzdem noch weiter getrunken. Nicht mal das hat gereicht, obwohl das echt so ein Erlebnis hätte sein können, nachdem man sagt: “Okay, jetzt ist Schluss.” Wobei mein Trinken keine Entschuldigung für diesen Übergriff ist. Egal wie betrunken eine Frau ist, sowas darf nicht passieren. Aber in dem Fall wäre es nicht passiert, wenn ich nicht so betrunken gewesen wäre.

 

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The Wild Golden Egg: Wann hat es denn gereicht?

Eva Biringer: Es war wirklich die Summe von allem. Es gab nicht diesen einen Rock-Bottom. Also diesen dramatischen Moment, in dem jemand wirklich entschließt, aufzuhören – den gab es bei mir nicht. Es war eher dieser lange Prozess über zehn Jahre, die vielen blöden Erlebnisse und dann auch letztlich eine Beziehung. Mein Exfreund war zwar kein Alkoholiker, aber der hat auch gern getrunken und mit dem habe ich das dann noch mal so richtig ausgelebt. Ich glaube – so schlimm das auch ihm gegenüber klingen mag – ich brauchte jemanden, an dem ich mich abarbeiten konnte. Also noch mal so richtig, richtig reinfallen lassen in die große Liebe. Dann habe ich mich von dem Freund getrennt und wirklich fast zeitgleich aufgehört zu trinken.

 

Emanzipiert, Frei, Besoffen

 

The Wild Golden Egg: Du schreibst in deinem Buch, dass deine Mama zu dir gesagt hat, früher konnten die Töchter kochen wie ihre Mütter, heute saufen wir ihre Väter. Du gehst auch auf eine feministische Perspektive zum Alkohol und zum Saufen im Patriarchat ein. Es gibt einen nachweisbaren Zusammenhang zwischen dem Grad an Emanzipation und dem Anteil trinkender Frauen. Wie kommt es dazu?

Eva Biringer: Das ist eine Statistik, über die ich früh gestolpert bin, also schon bevor ich wusste, dass ich das Buch schreibe. Je emanzipierter ein Land ist, desto eher trinken die Frauen auf problematische Art. Da gibt es noch einige andere ähnliche Statistiken. Zum Beispiel, dass man schon im Alter von fünf Jahren mittels einiger Tests bei Grundschülern feststellen kann, mit welcher Wahrscheinlichkeit sie später problematisch trinken werden. Spannend ist auch, dass es bei einer Frau mit Universitätsabschluss viel wahrscheinlicher ist, dass sie problematisch trinkt.

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The Wild Golden Egg: Wir haben uns das Patriarchat oder die Emanzipation schön gesoffen. Kann man das so sagen?

Eva Biringer: Na, das ist jetzt die Frage. Also ich glaube, es ist halt beides. Einerseits wird einem Alkohol als Emanzipation verkauft. Du kannst alles machen wie ein Mann, dann kannst du auch saufen wie einer. Besonders bei Karrierefrauen, die wahnsinnig viel arbeiten. Das ist auch ein furchtbares Wort, da es ja keine Karrieremänner gibt. Nach ihrer 60 Stundenwoche brauchen die irgendeine Art von Ausgleich. Da ist Alkohol einfach sehr naheliegend, weil er die Stellung in der Gesellschaft hat, die er eben hat. Er ist immer überall verfügbar. Es ist normal zu trinken. Es ist komisch, nicht zu trinken.

Tatsächlich hat Alkohol eine beruhigende, erfüllende Wirkung. Zumindest in diesem Moment, langfristig macht er hingegen alles schlimmer. Aber es ist die unmittelbare Entspannung – der After-Work-Drink. Diese Entspannung kann helfen, um mit der Situation klarzukommen, der man als Frau ausgesetzt ist. Also einfach der Wahnsinn, der uns Frauen heute täglich betrifft. In allen Lagen – Kindererziehung, Karriere machen, Partnerschaft am Laufen halten, tollen Job bekommen. Es ist fast unmöglich all das zu erfüllen. Gleichzeitig streben Frauen diesen wahnsinnigen Perfektionismus an, viel mehr als Männer. Um das alles auszuhalten, ist Alkohol einfach ein sehr dankbares Mittel.

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I love me

 

The Wild Golden Egg: Unter anderem schreibst du, dass in Ländern, in denen der Gender Pay Gap nicht so drastisch ist, Frauen weniger Alkohol trinken. Kannst du uns da ein bisschen einführen in diesen Aspekt?

Eva Biringer: Wenn es Frauen gut geht, also wenn sie nicht leiden unter dem Patriarchat und den Verhältnissen, dann haben sie auch weniger Grund, um sich zu besaufen. Also was ich nicht möchte ist Alkohol komplett verbieten. Ich bin für mich mit dem Thema durch und werde keinen Alkohol mehr trinken. Das weiß ich. Trotzdem weiß ich auch, dass die Mehrheit der Gesellschaft, immer trinken wird. Das ist auch in Ordnung.

Ich will, dass Leute wissen, was Alkohol macht, was sie sich da zuführen und dann frei entscheiden können und nicht denken, dass Trinken der Normalzustand sein muss. Und wer nicht trinkt, der hat irgendwie ein Problem. Ich denke, man kann eine bessere Feministin sein, nämlich besser zu sich selbst sein, wenn man nicht trinkt. Es ist einfacher auf die eigenen Bedürfnisse zu hören und keine toxischen Beziehungen einzugehen. Das ist oft sehr eng verknüpft miteinander.

Darüber schreibe ich auch in meinem Buch. Ich habe festgestellt, dass sehr viele meiner Beziehungen, die rückblickend überhaupt nicht gut für mich waren, mit Alkohol zu tun hatten. Also sei es, dass ich die Männer betrunken kennengelernt habe oder dann mit denen in der Beziehung sehr viel getrunken habe. Wenn ich zu mir selbst nicht gut bin, dann suche ich mir auch niemanden aus, der gut zu mir ist. Wenn diese Selbstliebe nicht da ist, dann überträgt sich das dann auch auf Beziehungskonstellationen. Das heißt, wenn ich nüchtern bin, dann kann ich viel besser schauen, wer zu mir passt und jemanden suchen, der gut zu mir ist und mit dem ich eine gesunde Beziehung führen kann.

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The Wild Golden Egg: Wie steht es um Trinken im Zusammenhang mit Emanzipation? Der Wein ist pink, in den Yoga-Kursen wird Prosecco ausgeschenkt und die Todesrate steigt. Alkohol scheint auf eine gewisse Weise verknüpft mit dem Thema weibliche Selbstermächtigung.

Eva Biringer: Ja, es ist verknüpft. Und genauso könnte man es wieder entknüpfen. Also zum Beispiel mal aufhören, medial dieses Versprechen zu geben: “Wenn du trinkst, dann bist du emanzipiert.” Es fängt schon an bei Serien wie “Sex and the City”.

The Wild Golden Egg: Auch in “Modern Family” ziehen sich diese Narrative. Die Frau ist immer knapp vorm Durchknallen, aber wird halt  mit einem riesigen Glas Wein besänftigt. Also dreh durch, funktioniere, mach gratis Arbeit. Wenn du es nicht packst, bitte trink 1/4 Wein. Ist das so?

Eva Biringer: Ja genau. Werbungen sind da auch ein großes Problem. Es wird da einfach untrennbar – für Männer wie auch Frauen – mit einem gelungenen Leben verbunden. Es gibt dann auch dieses ganze gegenderte Trinken. Frauen greifen eher nicht zu harten Alkoholika, sondern trinken Rosé oder Erdbeersekt. Also es gibt wirklich diese gezielte Ansprache von Frauen vonseiten der Alkoholindustrie. Ich glaube wir müssen auf jeden Fall etwas ändern gesellschaftlich. Das funktioniert über Aufklärung.

 

 

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Ich möchte das Ganze wirklich mit einer positiven Message verknüpfen. Meine Message ist: “Nüchternes Leben kann super cool sein.” Mir fehlt kein Genuss. Es gibt wirklich tolle Alternativen. Ich kann da nur dazu einladen, sich da mal durchzuprobieren. Man muss nicht auf Genuss verzichten, man muss nicht auf Spaß verzichten. Weil es gibt so viele Dinge, die man immer mit Alkohol verknüpft, aber die eigentlich auch ohne Alkohol Spaß machen. Oder man entdeckt auch neue Sachen. Das Leben ist wirklich zu kurz, um sich ständig zu besaufen.

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The Wild Golden Egg: Was bedeutet für dich wahre Emanzipation für Männer und Frauen?

Eva Biringer: Ein Leben leben nach Maßstäben, die man sich selbst setzt. Ein erfüllendes Leben, in einer Gesellschaft, die möglichst gerecht ist für beide Geschlechter. Es geht ja auch nicht darum, dass jetzt mal die Männer unterdrückt werden sollen, sondern Feminismus will einen Ausgleich der Geschlechter. Wenn sich jemand entscheidet zu trinken, dann aber mit dem Wissen “Okay, es ist nichts, was meinem Körper und meiner Seele gut tut. Ich mache es trotzdem.” Fair enough. Es sollte aber nicht so sein, dass man trinkt, weil man das eben so macht und die Gesellschaft das von einem erwartet.

Geld regiert den Suff

 

Eva Biringer: Es ist nicht nur das Patriarchat, sondern es ist auch einfach der Wirtschaftsfaktor Alkohol, vor allem in Österreich. Die Lobby ist unglaublich stark. Regierungsverantwortliche werden regelrecht aus dem Amt gekickt, wenn die irgendwas an der Verfügbarkeit von Alkohol ändern wollen oder an der Wettbewerbssituation. Es gibt genug positive Beispiele von anderen Ländern, Schweden oder Island zum Beispiel, die mit einer rigorosen Alkohol-Politik das Problem vielleicht nicht komplett in den Griff bekommen haben, aber dadurch sehr viel zum Positiven verändert.

The Wild Golden Egg: Was machen die zum Beispiel?

Eva Biringer: Zum Beispiel Alkohol-Werbung komplett verbieten oder sehr einschränken. Island ist ein wirklich spannend als Beispiel, weil die eine sehr hohe Rate hatten an problematisch trinkenden Menschen, vor allem auch unter Jugendlichen. Da haben sich wirklich ganz gezielt alle Parteien zusammengetan und wahnsinnig viel Geld in die Jugendarbeit und in die Aufklärung gesteck. Auch der Verkauf wurde eingeschränkt. Es gibt in Skandinavien staatliche Stores und nur da kann man Alkohol kaufen. Die Zahlen sind enorm zurückgegangen in Island. Alkohol und Drogen sind unter Jugendlichen eigentlich kein Thema mehr.

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Sober Curiosity

 

The Wild Golden Egg: Alkohol ist in unserer Gesellschaft etwas ganz Normales. Jetzt etabliert sich aber langsam eine Gegenbewegung. Auch Menschen, die nicht von Sucht betroffen sind, interessieren sich für Sober Curiosity. Frauen wie du oder Nathalie Stüben bringen das Thema momentan auf die Agenda. Wieso passiert das genau jetzt?

Eva Biringer: Naja, nicht zu trinken passt halt auch zum Zeitgeist. Alkohol fällt eigentlich total aus der Zeit. Wir wollen alle gesund sein, fit sein. Wir zählen unsere Schritte und achten darauf, was wir zu uns nehmen. Und dann schüttet man dieses Nervengift in sich hinein. Also man muss sich ja wirklich mal anschauen, was Alkohol macht. Alkohol ist beteiligt an über 200 Krankheiten – an 28 davon sogar direkt. Das Krebsrisiko steigt enorm, wie zum Beispiel auch das Brustkrebs-Risiko bei Frauen. Das lässt sich nicht von der Hand weisen. Frauen sind auch stärker davon betroffen. Das heißt, sie werden schneller abhängig. Sie sind mehr von Stimmungsschwankungen und Schlafstörungen betroffen als Männer, wenn sie problematisch trinken. Wir wollen keinen Zucker essen, wir wollen vielleicht sogar vegan leben und trinken dann dieses schädliche Nervengift – das passt nicht zusammen.

Ich denke die Millennials tragen auch ihren Teil dazu bei, weil die denken das schon konsequenter. Wenn man sich die Zahlen anschaut, gibt es zwar Jugendliche, die wahnsinnig viel trinken, abersie sind eine Minderheit. Die Mehrheit der Jugendlichen trinkt entweder wenig oder gar keinen Alkohol.

 

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Weg mit dem Stigma

 

The Wild Golden Egg: Du bist erfolgreiche Journalistin und schreibst etwa für die Zeit und den STANDARD. Sich hinzustellen und sich beim Thema Alkohol zu outen, erfordert sicher auch Mut. Wieso hast du das gemacht?

Eva Biringer: Weil ich wusste, wie sehr mir das von anderen geholfen hat. Ich habe alles gelesen was ich finden konnte zu dem Thema und bei jeder Geschichte war ich dankbar, dass die Person das aufgeschrieben hat. Man schämt sich, ist verzweifelt und denkt alle anderen können normal trinken. Also wieso kann ich das nicht? Was ist mein Problem? Dann liest man die Geschichten von anderen und merkt, dass man eben nicht alleine ist mit dem Problem. Ich glaube, es kann nicht genug darüber geschrieben werden. Mein Fokus liegt eher auf der weiblichen Perspektive und dem feministischen Aspekt, den andere im deutschsprachigen Raum noch nicht so beleuchtet haben.

 

Alkohol & Mental Health

The Wild Golden Egg: Aus unserer Sicht reguliert Alkohol einfach Gefühle, die ich nicht spüren will. Er dämpft, er betäubt. Er gaukelt etwas vor. Du schreibst auch von Gefühlen der Unzulänglichkeit und Selbstzweifeln, die du weggetrunken hast. Hast du diese Gefühle noch?

Eva Biringer: Ich habe diese Gefühle noch, aber viel weniger als damals, wo ich noch getrunken habe. Ein Großteil meiner Zweifel, meiner Ängste, meiner latenten Depressionen – die einfach immer über allem lagen, wie ein Schleier – die sind weg, seit ich nüchtern bin.

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The Wild Golden Egg: Wie gehst du jetzt mit diesen Gefühlen um?

Eva Biringer: Drüber nachdenken, sich damit beschäftigen, mit Therapeuten sprechen. Es geht darum sich einfach den Widrigkeiten des Lebens zu stellen und für sich selbst zu sorgen. Dafür muss man gute Umstände schaffen und reflektieren. Ist die Arbeitssituation in Ordnung? Geht es mir gut? Schlafe ich genug? Ernähre ich mich gut?

The Wild Golden Egg: Inwiefern hat dir Therapie geholfen?

Eva Biringer: Ich habe schon zig Therapien gemacht. Alkohol war oft am Rande Thema, aber nie so wirklich. Es hat nie jemand zu mir gesagt: “Sie müssten eigentlich aufhören zu trinken.” Dann, nachdem ich nüchtern wurde, habe ich noch eine sogenannte Entwöhnungstherapie gemacht. Das hat sicher geholfen. Aber ich glaube, dass ich es auch so geschafft hätte, weil einfach mein Entschluss beim zweiten Mal so sicher war. Ich habe schon mal fünf Monate aufgehört und da habe ich dann wieder angefangen. Damals war ich einfach noch nicht so weit.

Der betrunkene Künstler

 

The Wild Golden Egg: Wir hatten letztens mit Alfred Dorfer ein Interview, der gesagt hat, da entstehe so viel Kreativität. Er meinte, dass es weniger schöne Liedertexte und Gedichte ohne Alkohol gäbe. Bist du mit Alkohol kreativer gewesen?

Eva Biringer: Ich glaube, das kennt jede und jeder Kreative, so dass man zumindest denkt, man braucht es irgendwie. Vor allem diese Romantisierung, dass Virginia Woolf und Hemingway auch alle gesoffen haben. Ich habe teilweise zum Beispiel Theaterkritiken geschrieben mit der Weinflasche neben mir. Das waren damals Aufträge, wo man die Kritiken immer abends schreiben musste und da habe ich immer meinen Wein dazu getrunken und kam mir so sophisticated vor. Das ist aber eigentlich totaler Quatsch, finde ich. Also wer kreativ ist, der kann auch nüchtern kreativ sein und wahrscheinlich sogar auf eine bessere Art. Das ist halt auch eine Art sich diesen Lifestyle des Trinkens schönzureden, weil man muss ja kreativ sein und deshalb trinken. Für mich klingt es einfach nach einer dankbaren Ausrede.

Es ist keine Krankheit, sondern eine Gewohnheit und man selbst hat die Macht, seine Geschichte umzuschreiben. Ich bin nicht abhängig vom Alkohol, sondern unabhängig. In dem Moment kann ich entscheiden, wie meine Geschichte weitergeht. Ich bin da nicht tot deswegen. Es ist nie zu Ende.

 

Den ganzen Talk mit Eva Biringer könnt ihr in unserem The Wild & Golden Podcast nachhören!

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