Article by Fabian Petschnig

Warum fürchten sich Männer so sehr vor Kontrollverlust in einer Beziehung

Männer und Kontrollverlust – zwei Themen, die nicht zueinander finden. In seiner Kolumne erforscht Fabian Petschnig aufoktroyierte Stereotype, mit denen Männer aufwachsen, was das mit ihren Beziehungen macht und wieso Therapie für ihn ein Wendepunkt war.

Rückblickend war meine so lange anhaltende Einstellung, keine Beziehung eingehen zu wollen, wohl die richtige. Hatte ich doch viele Ängste in mir. Vor Verletzung, Enttäuschung und vor allem vor der Möglichkeit, wieder verlassen zu werden. Allein sein – damit behielt ich mir stets die volle Kontrolle über meine Gefühle und mein Leben. Alles wegzuschieben von mir, was nur ein kleinstes Anzeichen emotionaler Annäherung in sich trug, war jahrelang meine Prämisse. Die Beobachtungen meines Umfeldes bestätigten mich. Denn, was hie und da in Partnerschaften passierte, zeigte mir, dass zu viele Unsicherheiten und Misstrauen in Beziehungen zu schmerzvollen Erfahrungen führen. Somit hielt ich mich als potenziell ungesunder Partner fern von Möglichkeiten, einer Frau das Leben schwer zu machen.

Macht als Maxime

 

Wir Menschen streben von Natur aus nach Macht und Kontrolle. Entsteht dadurch doch auch Sicherheit. Aber diese immerzu an erste Stelle zu setzen, statt auch einmal loszulassen, fällt wohl den meisten Männern schwer. Als ich dann wieder eine Beziehung einging, war ich gezwungen, dies zu lernen. Das Loslassen. Das Vertrauen. Oder eben dem Kontrollverlust Platz zu machen. Ein Kampf gegen das innere Bedürfnis, mich stets in Sicherheit zu wiegen. Aber es zahlte sich letztlich aus.

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Kontrollverlust, die eigenen Gefühle, meine Unsicherheiten und Ängste waren vorherrschend in den Gesprächen der Therapie. Während meine damalige Beziehung nicht unbedingt der ideale Nährboden war, das Vertrauen zu erlernen, blieb ich standhaft. Denn ist es nicht zwingend abhängig vom Gegenüber – so lernte ich es zu diesem Zeitpunkt –, sondern liegt viel mehr in den Tiefen des eigenen Unterbewusstseins und des früh Erlernten. Vertrauen hat auch immer etwas mit Selbstvertrauen zu tun. Nicht das übersteigerte, das oberflächliche, sondern das gesunde Selbstvertrauen.

Fast schon privilegiert unter den Männern, weil ich über die gesellschaftliche Norm hinweg eine Therapie besuchte, mir meine Schwächen eingestehen „durfte“ und ein Mann-Sein erlernen konnte, das abseits toxischer Angewohnheiten existiert, stellt sich mir dennoch eine Frage. Warum hatte ich selbst und haben noch immer Männer immer noch solche Angst vor Kontrollverlust?

Die Antworten, die zum Teil ineinandergreifen, scheinen einfach und kompliziert zugleich. Denn die Gesellschaft, in der wir leben – die patriarchale –, formt ein Männerbild, das ihnen selbst schadet. Infolgedessen schaden die Patriarchen und die vom Patriarchat geschädigten Männer auch ihrem Umfeld – mit teils fatalen Folgen. Resultat ist laut einer repräsentativen Umfrage, dass ungefähr jede fünfte Frau in Österreich von Gewalt betroffen ist oder war – wegen Eifersucht, Kontroll- oder Machtverlust. Fast jede dritte Frau gab an, dass sie in ihrer Beziehung kontrolliert wurde. Gerade deshalb ist es wichtig, dass Männer lernen, die alten Rollenbilder abzuwerfen und sich in ein neues Selbstverständnis zu kleiden.

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1. Das falsche Selbstverständnis und das ungesunde Selbstbewusstsein: Was definiert einen Mann?

 

„Frauen und Kinder zuerst.“ „Ein echter Indianer kennt keinen Schmerz.“ „Sei kein Mädchen.“ Wir Männer wachsen mit Sätzen auf, die unsere (falsche) männliche Stärke definieren. Gefühle, Schmerz oder Angst haben im patriarchalen Männerbild keinen Platz. So sehr uns im Leben auch immer wieder die Ohnmacht heimsucht, wir dürfen sie nicht zeigen. Der Mann muss Macht ausstrahlen. Über die Situation, sein Umfeld und sich selbst.

Außerdem definiert unsere patriarchale Gesellschaft den Mann über äußere Gegebenheiten statt der inneren. Welchen Beruf wir haben, wie viel Geld wir verdienen, wie gut wir trainiert sind oder sogar, ob wir uns theoretisch einen Bart wachsen lassen könnten, sind Maßstäbe des Mann-Seins. Das führt dazu, dass Männer, die dem Bild nicht gerecht werden, Frustration und nicht selten auch Ablehnung erfahren. Männer, die „mächtig“ und erfolgreich sind, entwickeln demgegenüber ein ungesundes und vielfach sogar toxisches Selbstbewusstsein (nicht nur diese Männer, wie das Phänomen der Incels zeigt).

Aktuell bewirkt der positive Trend der Emanzipation einen doppelten Druck auf Männer. Einerseits soll Mann diese männlichen Attribute, wie Stärke, Macht und Erfolg innehaben, zugleich aber Leidenschaft und Sensibilität ausstrahlen. Daher sollte sich auch Mann emanzipieren und sich von den Ketten lösen, die ihnen das patriarchale System auferlegt. In der Tat sind auch wir Männer Opfer eines Systems, in dem wir bevorteilt sind. Durch die hegemoniale Männlichkeit sind dieser notwendigen Emanzipation weitere Grenzen gesetzt.

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2. Hegemoniale Männlichkeit: Außen Mann, innen Frau?

 

Das innere Selbstverständnis richtet sich natürlich an das von außen aufoktroyierte Bild des Mannes. Wer sich von den patriarchalen Vorgaben abwendet, rückt für die Verfechter*innen toxischer Männlichkeit (Ja, gegendert, denn auch Frauen fordern und prägen das falsche Männerbild) in gefährliche Nähe zur Weiblichkeit. Durch das streng binäre Denken geben wir den Geschlechtern Eigenschaften, die aber biologisch nicht wirklich geschlechtsspezifisch zuzuordnen sind, sondern sich gesellschaftlich bilden.

Denn gemeinhin ist bekannt, dass auch Männer Gefühle haben. Genauso können Frauen erfolgreich hohe Management-Positionen bekleiden oder Härte ausstrahlen. Doch die hegemoniale Männlichkeit bedient sich an Begrifflichkeiten, die eine aus den patriarchalen Geschlechterrollen ausbrechende Person abwerten. Beispiele hier wären: Kampflesbe für Frauen oder Tunte, Schwuchtel oder Mädchen (was wiederum ein Negativbeispiel des patriarchalen Frauenbildes ist) für die Männer.

Mit solchen Begriffen verlernen und verleugnen Menschen ihre wahre Natur. Statt zu weinen, schluckt Mann mit zunehmendem Alter seine negativen Gefühle hinunter. Auch Ängste und Sorgen kommunizieren Männer nicht. Resultat dessen sind nicht selten Depressionen, die sich wiederum in Aggression äußern. Dies führt dann schlussendlich in Beziehungen zu Übergriffen und Gewalt. Oder im Falle des Alleinseins zu Selbstmord.

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3. Die falsche Beziehung zu den eigenen Gefühlen: Gesunde Beziehung unmöglich!

 

Die Probleme zahnen ineinander, weshalb das Loslösen aus den Ketten des falschen Selbstverständnisses umso schwerer erfolgt. Während Männer sich selbst verleugnen und bei jedem Versuch, sich aus den Fängen des falschen Männerbildes zu befreien, von außen Mahnung und Verhöhnung erfahren, verlieren sie mehr und mehr den Bezug zu den eigenen Gefühlen und zur eigenen Natur. Stattdessen versuchen sie, sich dem System zu fügen.

Parallel dazu erlebt das Selbstbewusstsein der Männer ein stetiges Zerren. Während sie sich selbst und ihre Gefühle verleugnen, verlieren sie fortwährend an gesundem Selbstvertrauen. Das falsche Selbstverständnis macht es aber zugleich unmöglich, dem Männerbild jemals vollends gerecht zu werden – wir erinnern uns: Erfolg, Macht, Geld – was ebenso am Selbstbewusstsein nagt.

Je weniger Selbstvertrauen, umso geringer auch die Fähigkeit, zu den eigenen Gefühlen zu stehen. Angst, Trauer und Verletzung sind bereits seitens der patriarchalen Strukturen nicht gerade den Männern zuzuordnen, weshalb zwei Faktoren – das fehlende Selbstbewusstsein und die hegemoniale Männlichkeit – verhindern, dass Mann zu sich selbst steht.

Schlussendlich wird auch eine gesunde Beziehung unmöglich. Denn ein Mann, der nicht zu sich selbst steht, seine Gefühle verleugnet und Ängste schluckt, statt sie zu verarbeiten, der strebt auch stets nach noch mehr Sicherheit. Diese (vermeintliche) Sicherheit gewährleisten Menschen meist durch Kontrolle, weshalb sie auch zwanghaftes Verhalten und nicht selten auch extreme Eifersucht an den Tag legen.

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Wie kann Mann der Angst vor Kontrollverlust entgegentreten?

Die kurze Antwort wäre: durch Arbeit an sich selbst. Natürlich ist es einfacher gesagt als getan. Doch beginnt all die Arbeit bei einem gesunden Selbstvertrauen. Dieses kann nur wachsen, wenn die Werte, an denen Mann sich selbst misst, nicht von außen – und vor allem nicht vom patriarchalen System – vorgegeben sind. Etwas zu „verlernen“, das man von klein auf beigebracht bekommen hatte, bedarf viel Zeit und Reflexion. Ein neues Selbstverständnis bringt zudem mehr Glück allein. Sobald der Mann – aber auch die Frau – allein glücklich ist, steht auch dem Glück zu zweit ohne Kontrolle und stetes Misstrauen nichts mehr im Weg. Ein möglicher Weg wäre die Therapie.

In der Serie “Unlearning patriarchy” verlernen wir uns beigebrachte Geschichte und lernen sie aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten. Das Schreiben einer gemeinsamen „We-Story” beginnt damit, die alten Geschichten zu verlernen. Sanft, freundlich und vor allem mit dem Vorsatz wenig zu werten.

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