Article by Hannah Poppenwimmer

Magdalena Heinzl: Wie brechen wir das Tabu um Sexualität?

Let’s talk about sex, baby! Magdalena Heinzl kennt sich aus, wenn es um Sexualität geht. Unter dem Namen „SexOlogisch“ berät sie als klinische Sexologin. Auch in ihrem Podcast und auf Instagram nimmt sie kein Blatt vor den Mund und betreibt sexuelle Aufklärungsarbeit. Mit ihrer gewohnt positiven und offenen Art hat Magdalena uns von Sexualität, Körperwahrnehmung und Prävention von sexueller Gewalt erzählt. Wieso ihre Arbeit einen feministischen Anspruch hat? Sie hat es uns verraten.

Magdalena, kannst du für einen Laien erklären: Was macht man konkret als Sexologin?

Die klinische Sexologie ist eine Form der Sexualtherapie, eine Schule, die auch sehr körperorientiert arbeitet. Ich habe Einzelklient:innen wie auch Gruppentherapien, bin außerdem als Sexualpädagogin an Schulen und  bei Bildungsprogrammen unterwegs. Bei mir sitzen hauptsächlich junge Erwachsene ab 16 Jahren und Erwachsene, die sich mit ihrer eigenen Sexualität beschäftigen möchten – auf welche Art und Weise auch immer.

Ich arbeite mit Menschen jeden Alters und mit diversen Bedürfnissen und Körpern. Außerdem bilde ich Pflegekräfte und Kindergartenpädagog:innen aus. Meine Arbeit ist wirklich sehr bunt und sehr breit. Menschen finden auf unterschiedlichste Wege zu mir – ich mag die Vielseitigkeit daran und die verschiedenen Zielgruppen und was sie brauchen und wollen. Ich glaube, sonst wäre mir langweilig.

 

Was wollen und brauchen denn deine Klient:innen? Mit welchen Anliegen kommen sie zu dir?

Das ist wohl genau so unterschiedlich und bunt wie die Menschen selbst. Manche wollen von mir die Bestätigung, dass alles in Ordnung ist mit ihnen. Andere möchten endlich Themen angehen, vor denen sie gefühlt jahrelang davongelaufen sind. Wiederum andere stellen sich die Frage: War das schon alles oder geht da noch was in Bezug auf ihre Sexualität? Auch Fragen rund um die Aufklärung von Eltern und Bezugspersonen sind an der Tagesordnung. Du siehst schon – das kann ich schwer pauschal beantworten.

 

Warum fällt es so schwer, über Sex und Sexualität zu sprechen? Wieso ist es so ein Tabuthema?

Wir haben die letzten Jahrzehnte und Jahrhunderte damit verbracht, daraus ein Tabuthema zu machen. Warum kann ich nicht sagen. Ich habe natürlich für mich selbst schon ein paar Ideen von wegen Erbrecht und Co. Aber wir haben auch von der Kirche die Prägungen mitbekommen, dass man Sexualität nicht lustvoll und frei ausleben darf – vor allem Frauen dürfen das nicht. Stell dir nur vor, die hätten dann mit zehn verschiedenen Personen Sex, und dann weiß man ja nicht, woher das Kind ist und wer die Alimente zahlen muss. (Sarkastischer Ton) Ich denke, das hat eher wirtschaftliche Gründe und dass die meisten nie gelernt haben, ihren Körper als etwas Gutes und Wertvolles anzunehmen.

Auch die Pubertät wird oft als was Negatives angesehen, weil der Körper sich verändert. Dabei ist es doch super, dass er sich ein Leben lang verändert. Dadurch, dass wir nie gelernt haben, generell darüber zu sprechen, fällt es uns natürlich auch schwerer, wenn sexuelle glt passiert. Das ist einfach ein Thema, das alle lähmt und in eine Schockstarre bringt. Das Problem ist dann, dass die Leute glauben: Guter Sex fällt vom Himmel, wenn man sich nur genug liebt. Das sind diese ganzen Glaubensgrundsätze. Wenn ich dann draufkomme, dass das doch nicht so funktioniert wie in Hollywoodfilmen, wo ich leidenschaftlichen Sex sehe, alle geil aufeinander sind und sowieso immer Lust haben. Dann wird es halt doof, wenn das nicht mit meiner Realität zusammenpasst. Manche holen sich dann bei mir Hilfe, um dieses Mysterium für sich selbst zu entdecken. Es ist eigentlich ein Gesundheitsthema. Wenn ich mir am Knie wehtue, gehe ich auch zum Arzt und mache Physiotherapie. So ist das, finde ich, bei der Sexualität auch, wenn die Leute zufrieden sind und sich gut spüren in ihrem Körper.

Ein Mann mit vielen sexuellen Kontakten ist „der geile Hengst“, eine Frau ist „eine Schlampe“ – wieso wird deiner Meinung nach beim Thema Sexualität immer noch zwischen Männern und Frauen differenziert?

Da sind halt das Patriarchat und der Sexismus. Wir sind in einer sexistisch geprägten Gesellschaft groß geworden, die haben wir alle intus. Auch Frauen können sexistisch sein, so ist es ja nicht. Wir schreiben bei vielen Dingen und eben auch in der Sexualität gewisse Dinge eher Männern oder eher Frauen zu. Was natürlich nichts mit der Realität zu tun hat. Ich habe genauso oft lustlose Frauen wie Männer bei mir sitzen. Der Realitätscheck ist einfach, dass es geschlechtsunabhängig ist, auch wenn das viele nicht hören wollen.

 

Frustriert es dich, dass Sex immer noch ein Tabu ist, oder motiviert dich das für deine aktivistische Arbeit?

Ich glaube, ich würde nicht machen, was ich mache, wenn ich frustriert wäre. Da ist noch so viel zu tun und jeder noch so kleine Schritt und jeder Mensch, den ich erreiche, kann etwas bewirken.  Ich hab jetzt doch schon 20.000 Follower:innen auf Instagram. Wenn auch nur eine Person, die es dem/der besten Freund/Freundin erzählt oder mit ihrem/ihrer Partner:in drüber redet – dann hab ich schon meinen Job getan. Das multipliziert sich ja, das war meine Idee dahinter.

 

Du wählst einen sehr niederschwelligen und positiven Zugang und durch deine Persönlichkeit vermittelst du die Themen sehr offen – ist das der Schlüssel zum Erfolg, um diese Tabus einzureißen?

Ich glaube, es ist wichtig, dass es einen gewissen Entertainmentfaktor hat, dass Sexualität etwas Lustiges und Lustvolles sein darf.  In der Gesellschaft tendieren wir dazu, die negativen Aspekte zu erwähnen, wenn wir über Sexualität sprechen: Werde ja nicht zu früh schwanger! Fang dir ja nicht sexuell übertragbare Infektionen ein! Schau, dass du nicht vergewaltigt wirst! Über solche Themen sprechen wir noch eher. Das ist der Präventionsgedanke aus den 70er- und 80er-Jahren. Sexuelle Bildung muss und kann einfach auch mehr und das muss jetzt auch anders aufgebaut werden – da bin ich sehr streng. (Lacht)

 

Wie kann das deiner Meinung nach passieren?  Wo muss man ansetzen? In der Schule? 

Natürlich müssen Menschen, die mit anderen Menschen arbeiten, geschult werden, weil wir sonst immer nur von unserem persönlichen Wissensstand ausgehen und das ist auch sehr unprofessionell. Man bräuchte eine Professionalisierung auf mehreren Ebenen. Ich fände es schön, wenn das nicht erst in der Schule gemacht würde, sondern auch im Kindergarten. Kindliche sexuelle Entwicklung gehört dazu wie jede andere Entwicklung auch. Punkt. Wir reden da offen darüber, machen Elternabende dazu und Eltern werden ausgebildet, damit nicht mehr die Polizei gerufen wird, wenn zwei Fünfjährige einander ihre Genitalien zeigen. Das hab ich alles schon erlebt. Ich arbeite sehr eng mit der Polizei zusammen und bin bei der Kriminalprävention auch immer wieder angedockt. Ich habe den Vorteil, dass ich auch schon im Kinderschutzzentrum gearbeitet und sexuelle Gewalt, das Leid und die Misshandlungen gesehen habe. Ich habe mitbekommen, wie es den Leuten geht, und beschlossen: Ich will davor ansetzen.

Das ist auch der Grund, wieso ich trotz aller Realitätsnähe diesen positiven Gedanken behalten kann. Ich glaube, nur so kann man die Leute dazu bringen, sich damit zu beschäftigen. Wenn es zu negativ ist, wollen sie das nicht tun, und wenn es ihnen zu krass ist, halten sie es nicht aus. Es braucht so viel Fingerspitzengefühl und da hilft einem schon auch die Erfahrung.

Du leistest viel kostenlose Aufklärungsarbeit. Hast du einen gesellschaftspolitischen und/oder feministischen Auftrag, beziehungsweise siehst du es als deine Aufgabe, deinen Finger in die Wunden zu legen, damit sie heilen?

Ja, das würde ich schon so sehen – bei manchen Themen auf jeden Fall. Es braucht dieses gute Mittelmaß. Wir legen den Daumen in die Wunde, aber nur soweit, dass die Leute noch kooperativ bleiben. Ich glaube nicht, dass es jemandem hilft, ihm vorzuwerfen, dass er noch nicht richtig gendert oder nach Pronomen fragt. Das sind alles neuere Diskurse. Wenn man da jemanden angeht, hat man eher das Problem, dass die Kooperationsgrenze relativ schnell erreicht ist und die Leute sagen „Jetzt bemühe ich mich eh schon so und du sagst mir, das mach ich auch falsch“. Verständnis für die Leute und ihre Lebensrealität ist das A und O. Ich hab das letzte Mal als Meldung zurückbekommen, dass ich sehr wenig Meinung und dafür sehr viel Haltung habe und es für Leute so leichter ist, mit mir Themen zu besprechen, die kontroverser diskutiert werden. Ich glaube, das trifft es sehr gut. Mit einer wertschätzenden Haltung dem Individuum gegenüber aufeinander zugehen.

 

Was kann jeder Einzelne tun, damit wir gesamtgesellschaftlich offener mit Sexualität umgehen?

Sich selbst mit dem Thema beschäftigen, Podcast hören, Texte lesen, mit Freund:innen und/oder Partner:innen drüber sprechen und Dinge hinterfragen. Auch wahrnehmen und hinspüren: Es ist okay, wenn es mir schwer fällt, darüber zu reden, und es darf mir peinlich sein. Alles darf, nichts muss. Man darf das alles in seinem Tempo machen, aber wenn jeder für sich schaut, wo kann ich anfangen, dann wird sich gesamtgesellschaftlich etwas ändern. Wenn wir in „kleinen“ Beziehungen schon offener miteinander reden und leben, wirkt das. Wenn es selbstverständlich ist, darüber zu reden, wie man verhüten will und ob man sich die Kosten für die Pille teilt oder ob man überhaupt in einer monogamen Beziehung leben will, wirkt das. Es ist wichtig, dass man Dinge nicht voraussetzt und nicht vom eigenen „normal“ ausgeht.

Wir glauben immer alle, wir sind eh „normal“ (lacht). Ich frage meine Klient:innen immer, wenn sie zur Einzelsitzung kommen, wie sie denn normalerweise masturbieren, damit ich ihr sexuelles System evaluieren kann, und dann sagen immer alle „Ja, eh normal“. Da muss ich immer lachen und sage, dass ich schon über hundert Personen hier sitzen hatte und ich versichern kann, dass kein einziger von ihnen auf die gleiche Art masturbiert hat. Ich finde es sinnvoll, sich das Eigene anzusehen, weil es schon da so viel zu entdecken gibt, was wir noch nicht kennen. Es macht Sinn, auch das eigene sexuelle System zu durchschauen. Es braucht die Denkanstöße und den Austausch, dass wir miteinander reden, sonst kann es nicht funktionieren.

Mehr Inhalte von Magdalena Heinzl findet ihr auf ihrer Website oder in ihrem Podcast.

 

Fotocredits: v.o.n.u. Islam Box, Magdalena Heinzl, Wamara

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