Article by TWGE Redaktion

Heilige und Hure: Das diffuse Frauenbild der meisten Männer

Männer haben von Frauen meist ein sehr undifferenziertes und geradezu banal vereinfachtes Bild. Gespeist, einerseits vom Pornokonsum und andererseits garniert mit von der Kirche gesättigten moralischen Erwartungen, zeigt sich diesbezüglich ein verehrender Dualismus. Laut dem Psychologen Wilhelm Johnen lässt sich die männliche Sicht auf Frauen daher in zwei eng miteinander verschmolzene, aber nicht minder sich gegenseitig abstoßende Kerne herunterbrechen. Männer sehen in Frauen entweder Heilige oder Huren. Frauen als Objekte, überstilisierte Madonnen oder käufliche Lustmagneten – woher dieses Vorurteile kommen, und weshalb sie problematisch sind.

Flittchen oder Madonna

Männer sehen in einer Frau entweder eine Heilige oder eine Hure. Mit diesem vereinfachten Modell erklären sie sich ihre Lebenskrisen, Beziehungsschwierigkeiten, gescheiterten Ehen und sexuelles Versagen, erläutert der Psychologe Wilhelm Johnen in seinem Buch Die Angst des Mannes vor der starken Frau. Nach diesem dualistischen Konzept entwerfen Männer auch ihre Strategien wie sie auf Frauen zugehen – und leiten den Wert einer Beziehung sogar anhand dieser beiden Kategorien ab. Eine „Heilige“ wird verehrt. Während Mann mit einer „Hure“ eben respektlos verkehren kann. Dieses Bild fungiert auch als die Grundlage dafür, ob Mann eine Frau mag oder nicht.

 

Männliche Legendenbildung

Diese beiden, sich gegensätzlich zueinander verhaltenden, Konzepte liefern für viele Männer somit die Basis ihrer Lebens- und Liebesgeschichten, die zwei unterschiedliche Frauenbilder entstehen lassen. Für einen Mann über Zwanzig seien Frauen primär mögliche Sexualpartnerinnen, so Johnen in seinem Buch. Das rühre daher, dass seine Hoffnung auf eine tiefe und vertrauensvolle Beziehung bereits enttäuscht worden ist. Da es für einen Mann in seiner Erziehung und Kindheit keine tieferen zwischenmenschlichen Verbindungen gegeben hat – auf das Thema Männerfreundschaft kommen wir noch in einem anderen Artikel zu sprechen – stürzt er sich in einen emotionslosen Konsum des anderen (weiblichen) Körpers, der Hure. Während er sich insgeheim natürlich immer noch nach dem, in der Kindheit verlorenen, „Heiligen“ sehnt.

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Die Hure und die „Hure“

Huren bedienen ein bestimmtes Bild: die Sehnsucht nach (oberflächlichen) sexuellen Erfüllungen, die nicht auf ein tiefes Vertrauen, sondern lediglich auf den Konsum des Sex und des Körpers einer anderen Person (Frau) zentriert ist. Bei Huren handelt es sich, knapp heruntergebrochen, um einfache und käufliche Frauen, die in der männlichen Phantasie eine totale und lustvolle Ausrichtung auf Sexualität haben.

Tatsächliche gesellschaftliche Umstände, wie, dass manche Frauen in die Prostitution gezwungen werden und darüber hinaus auch fühlende menschliche Wesen sind, spielen dabei keine Rolle. Die käufliche Hure, die einem Gewerbe nachgeht oder die „Hure“, die vermeintlich leicht zu haben ist, erfüllen beide den Wunsch nach Befriedigung sexueller Wünsche. Eine tiefere Verbindung findet dabei jedoch nicht statt – und ist auch gar nicht gewünscht. Weil der Mann in diesem Stadium dazu natürlich nicht in der Lage ist. Dennoch sehnt Mann sich natürlich vor allem nach einer solchen, seelischen Verbindung.

Weiterer Aspekt des Phänomens Hurei: Viele Männer fürchten sich vor weiblicher aktiver Sexualität. Beide Konzepte der Hure sind daher etwas passives. Sexuelle Handlungen werden in beiden Fällen nur mit der Frau gemacht. Die Frau macht dabei jedoch nicht selber, beziehungsweise darf ihr Begehren nie etwas Subjektives sein. Es fungiert vielmehr immer nur als Verlängerung der männlichen Lust. Somit ist Sex mit einem Mann, der ein solches Konzept verinnerlicht hat, nicht viel mehr, als eine weiterfürhung seiner masturbatorischen Praxis. Ein weiterer Aspekt des Konzept der Hure ist (interessanter Weise) auch der, dass, wenn Frauen selbstbestimmt Sexualität leben, sie eben auch gerne als Hure bezeichnet werden.

 

Die Heilige

Ein Wunsch, der im zweiten Modell der Heiligen gestillt werden soll. Anders als im Bild der Hure findet die übermächtig hineininterpretierte und aufgebauschte Sexualität in der Heiligen keinen Platz. Denn diese ist geprägt von Reinheit, welche von Männern bei diesem Typ natürlich auch erwartet und vorausgesetzt wird. Interessant in dieser Konstellation ist vor allem der zunehmende Trend unter jungen Männern, eine Jungfrau heiraten zu wollen (eine Heilige also). Konterkariert wird das Ganze jedoch von dem männlichen Anspruch davor (vor der Ehe) noch mit so vielen Frauen wie möglich Sex zu haben. Denn bevor man diese Jungfrau und Heilige heiratet, stößt Mann sich natürlich die Hörner an zahlreichen „Huren“ ab. So die unbewusste Logik.

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Reinheitsbälle (purity balls) in den USA, an denen Mädchen und junge Frauen ihre Jungfräulichkeitsversprechen abgeben verbreiten sich immer mehr. Genauso wie der Wunsch nach jungfräulichen Ehefrauen. Auch etwa in der muslimischen Community, wie eine Dokumentation der Regisseurin Güner Yasemin Balci verdeutlicht. Diese zeigt, wie junge Musliminnen und Muslime unter dem Druck einer überkommenen Sexualmoral leiden.

Reinheit ist in diesem Sinne ein Begriff mit vielfältigen Bedeutungen, erklärt Johnen. Reine Liebe, reines Herz, Güte, reine Fürsorglichkeit und ein verzerrtes Bild von Mutterschaft. Begriffe, die sich in der „unbefleckten Empfängnis“ der christlichen Mythologie wohl am deutlichsten manifestiert haben.

 

Gefangene der eigenen Vorstellungen

Laut dem Psychologen sind die meisten Männer, „in abgeschwächter oder versteckter Form“ Gefangene dieser Vorstellung von Frauen. Sie erwarten nämlich insgeheim, dass Frauen immer freundlich, langmütig, ausgeglichen, liebevoll und zärtlich sind. Aber vor allem auch verständnisvoll gegenüber ihren männlichen Fehltritten und Eskapaden. Nur wenigen von diesen Männern fällt auf, dass all das Tugenden sind, die sie von Frauen (der Heiligen) erwarten, selbst aber gar nicht besitzen. Neidisch, aggressiv, egoistisch und kämpferisch versuchen Männer sich in einer patriarchalen Welt zu behaupten. Dem Weiblichen zugeschriebene Attribute und Fähigkeiten haben in einer solchen Welt des Wettkampfes natürlich keinen Platz.

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Frauen als männlicher Gegenpart, sollen jedoch all diese Eigenschaften verkörpern, die Männer selbst missen. Die Heilige mit ihren Tugenden würde dem Mann keine Angst machen. Er könnte sich daher beruhigt fallen lassen und vom harten Männerdasein erholen. „Nur mit diesem Jemand, der ganz anders wäre als er selbst, könnte er Ruhe finden, denn bei Menschen seines Schlages kann er dieses Sich-fallen-lassen, Sich-sicher-fühlen nicht finden.“, so Johnen über diese durchaus komplexe Sehnsucht der Männer, die sich, demzufolge, in ihrer männlichen Welt überhaupt nicht wohlfühlen können. Klar, inmitten dieses permanenten Balzgeschreis und Schwanzvergleichs wünschen sich viele nur einen entspannten und friedfertigen Raum der Ruhe. Einen Raum, den „die Heilige“ mit ihren Tugenden bereitstellen soll. Während „die Hure“ den hochstilisierten männlichen Gelüsten Abhilfe schaffen soll.

 

Frauen bleiben Objekt – ob heilig oder verhurt

Ob Heilige oder Hure. Frauen werden in beiden Konzepten dazu verdammt Objekte zu sein. Objekte der männlichen Lust oder Objekte der männlichen Ideal- und Moralvorstellungen. Einerseits Sexualobjekt. Andererseits Spenderin von Geborgenheit, Vertrauen und Liebe.. Das eine oder das andere. Beide Ansätze sind unrealistische Vorstellungen von Frauen, welche diese einer Idealvorstellung unterwerfen. Diese reduzierten männlichen Erfahrungen und Lebenskonzepte, die mit der Realität nicht wirklich etwas zu tun haben, müssen endlich überwunden werden. Und zwar indem Männer es endlich wagen Frauen real zu begegnen und sie als wirkliche Menschen anerkennen. Anstatt sie als Verlängerungen ihrer Sexuellen und Moralischen Vorstellungen zu sehen.

 

In der Serie “Unlearning patriarchy” verlernen wir uns beigebrachte Geschichte und lernen sie aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten. Das Schreiben einer gemeinsamen „We-Story” beginnt damit die alten Geschichten zu verlernen. Sanft, freundlich und vor allem mit dem Vorsatz wenig zu werten.

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