Article by Stefan Feinig

Die dunklen Seiten der Empathie – Eine vermeintlich positive Eigenschaft auf dem Prüfstand

Empathie gilt als vermeintlich ausschließlich weibliche Eigenschaft. Vor allem bildet Empathie jedoch die Grundlage eines jeden moralischen Handelns. In seinem Buch Die dunklen Seiten der Empathie, sieht der Literatur- und Kognitionswissenschaftler Fritz Breithaupt jedoch etwas genauer hin und zeigt auf, wie facettenreich das Phänomen Empathie sein kann, und wie es auch missbraucht wird, um kalkuliert Interessen durchzusetzen. Sein Appell: ein reflektierter Umgang mit diesem wertvollen Gut.

 

Empathie: Das wertvollste Gut

Laut neuropsychologischen Studien gilt Empathie als unser menschlich wertvollstes Gut. Sogar empirisch überprüfte Empathietrainings gibt es. Doch was das betrifft, kontert Professor Fritz Breithaupt mit einem unerwarteten Einwurf. Ja, Empathie ist wertvoll. „Aber wir wissen aus aktuellen Studien auch, dass Menschen, die mit Schwächeren mitfühlen, gar nicht zwingend aktiv werden oder helfen. Mitgefühl pumpt häufig einfach mehr Emotionen in eine Situation, sodass Konflikte zu eskalieren drohen oder eine gewisse Kopflosigkeit entsteht.“ Hinzu kommt dann noch das sich Berauschen an den eigenen Empfindungen, was das ursprüngliche Ziel, das Verstehen des anderen, verfehlt.

Empathie als Vehikel für Manipulation

Und diese ernüchternde Erkenntnis ist dabei noch nicht alles. Unsere menschliche Fähigkeit zur Empathie kann auch missbraucht und manipuliert werden. Vor allem schillernde Narzissten nutzen ihre eigenen Fähigkeiten zur Empathie, um die Empathie anderer geschickt für ihre eigenen dunklen Zwecke zu missbrauchen. Als kulturelle Errungenschaft ist Empathie natürlich klar zu begrüßen und wertvoll. Hatte zum Beispiel der „Verlierer“ in der Antike oder zur Zeit des römischen Reiches keinerlei Mitgefühl zu erwarten und war seinem „Schicksal“ hilflos ausgesetzt, verhält sich der Zugang zu den Opfern heute meist anders. Doch als unbedingtes Prinzip“, so Breithaupt, „ist das Mitfühlen mit dem ‘Opfer’ fatal: Weil der Unterlegene ja nicht automatisch im Recht ist.“

Die Gesetze der Empathie

Heute gibt es eine viele Leute, die so viel von den Gesetzen der Empathie verstehen, dass sie diese bewusst einsetzten, um zu manipulieren. Man denke nur an die unzähligen TV-Duelle und politischen Kampagnen, aber auch an die Pressekonferenzen aller Fußballvereine dieser Welt. Alles kalkulierte Empathie-Wettbewerbe, wo sich jede:r als unterlegener Underdog und Vertreter:in der Schwachen verkaufen will. Das alles mit dem Wissen, dass der Underdog von seinen Sympathiewerten meist vorgezogen und dass der, der angegriffen wird, oft zum Gewinner der Herzen, oder bei einer Niederlage ruhig auch Weltmeister der Herzen werden kann.

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In der Opferrolle zum Sieg und Erfolg

Laut Breithaupt hat sich sogar Donald Trump diese Kenntnis zu Nutze gemacht, „in dem er immer wieder dramatische Szenen heraufbeschwor, in denen er sich letztlich als Opfer stilisierte.“ Bei allem support für die Ukraine, darf man auch hier nicht vergessen, dass es sich um das – nur hinter Russland – zweitkorrupteste Land Europas handelt. Warum ist das erwähnenswert? Weil der ukrainische Präsident den Krieg auch dazu zu instrumentalisieren scheint, die EU davon zu überzeugen, die Ukraine unbedingt in die Europäische Union aufzunehmen. Eine Bitte, der man vielleicht nicht blind nachkommen sollte. Doch hat man einmal das Mitgefühl auf seiner Seite, ist es nur noch ein kleiner Schritt Richtung Triumph. Vorausgesetzt natürlich, man treibt damit ein kalkulierendes Spielchen.

Empathie als kulturhistorische Erfolgsstory

Dabei vergisst man jedoch allzu oft, dass Empathie keine Fähigkeit ist, die der Mensch immer schon innehatte – weder Männer noch Frauen. Denn der „Siegeszug der Empathie begann vor 250 Jahren, um 1770, als die Menschen sich erstmals als Individuen verstanden.“ Auf dieses Ich-Bewusstsein stolz, wurde schnell klar, dass man bei diesem radikalen Individualismus etwas braucht, was wieder eine Verbindung zwischen den getrennten und individualisierten Menschen herstellt. Und siehe da, Empathie – damals noch Mitleid genannt – wurde „aufgewertet, kultiviert und gefördert.“, erklärt Breithaupt in seinem Buch.

„In der Literatur etwa wurden Romane so gestaltet, dass man sich stärker in die Protagonisten hineinversetzen konnte.“, weiß Breithaupt, der auch Professor für vergleichende Literaturwissenschaft ist. Es ist dabei natürlich nicht abzuwerten, welche großartigen Leistungen Empathie für die Spezies Mensch geleistet hat: „Auch die psychologische Forschung zeigt: Menschen, die die Gefühlslage ihrer Mitmenschen korrekt einschätzen können, lösen öfter Konflikte, sind zufriedener in ihren Beziehungen und mit ihrer Arbeit, leisten mehr bei der Arbeit, und zeigen besseres Verhandlungsgeschick als Menschen, denen das Lesen der Gefühle anderer schwerer fällt.“

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Das Problem mit der Hyperempathie

Empathie ist großartig, keine Frage. Wir Menschen können miteinander kommunizieren, uns verstehen und kooperieren. Das alles ist unbezahlbar und wertvoll. Doch ist Empathie daher noch lange kein „Heilmittel“. „Wir richten mittlerweile viel Schaden an, indem wie sie immer weiter hochstilisieren.“, erklärt Breithaupt. Denn aufgrund von voreiliger und kopfloser Empathie stürzt man sich als Mensch sofort in die „Parteinahme“, schlägt sich unüberlegt und intuitiv auf eine Seite und verschärft so den Konflikt.

Breithaupt bezeichnet daher den Menschen als „hyperempathisch“: „Das sieht man allein daran, dass wir uns laut Studien etwa vier bis sechs Stunden täglich mit Geschichten und Gefühlen anderer beschäftigen, in Büchern, Filmen, Anekdoten.“ Das ist einerseits positiv. Doch nur solange man sich in fiktionale Inhalte so intensiv einfügt. Wenn man jedoch auf reale Ereignisse (und Dramen) ausschließlich empathisch reagiert, ohne die rationalen Umstände genauer zu kennen, dann ist das ein Problem. Ein weiteres Problem ist aber auch, dass, anstatt sich wirklich einzufühlen in den Anderen, viele Menschen eher dazu neigen sich an ihrem eigenen Gefühl der Empathie selbst zu berauschen. Denn Empathie zu empfinden fühlt sich zuallererst einmal gut an.

Empathie ist laut Breithaupt jedoch nur dann von Vorteil, wenn es dabei hilft, „sich in jemand anderen in einer ganz konkreten Situation hineinzudenken. Es ist ein Prozess des emotionalen Verstehens, mit Neugier, mit Bescheidenheit – weil es trotz Einfühlung eben auch immer Dinge gibt, die einem fremd sind und die trotzdem eine Berechtigung haben.“

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Empathie kann man lernen

Bezüglich Empathie hilft es, sich bewusst zu machen, dass wir diese Empfindung lenken, und daher auch zurückziehen können, um nicht auf Tricks reinzufallen. Breithaupt sieht übrigens die Literatur als bestes Mittel, um einen rationalen Umgang mit Empathie zu erlernen. Warum?

Geschichten bieten ein gutes Übungsfeld, sich in Figuren und Konflikte einzufühlen. Aufgrund der Strukturen bzw. Narrative lernt der Leser oder die Leserin, seine oder ihre Empathie eine Weile auf das Schicksal eines Protagonisten zu lenken – und sie danach wieder abzuziehen.

Es ist natürlich erlaubt, sich in andere einzufühlen und darauf einzulassen, doch zu sehr sollte man sich nicht verstricken lassen, nicht in den anderen per se, sondern vielmehr sollte man nicht in die Fänge der eigenen Empfindung des Mitgefühls geraten. Denn gerade das kann sehr berauschend sein und zwar so sehr, dass wir den anderen überhaupt nicht mehr wahrnehmen beziehungsweise auf diesen nicht mehr wirklich eingehen können, weil wir im Grunde zu sehr mit uns selbst beschäftigt sind.

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