Article by TWGE Redaktion
Vielficker, Penetratoren & Co: 7 Dinge, die Männer im Patriarchat über Sex gelernt haben
Gesellschaft durchdringt alles. Normen, Regeln und Ideologien. All diese Dinge haben einen gravierenden Einfluss auf das Einzelleben eines Menschen. Vor allem die vermeintlich ausschließlich private Sexualität ist durchdrungen von sozialen Vorstellungen. Und da wir uns nach wie vor in einer patriarchal organisierten Gesellschaft befinden, hat auch diese Tatsache gewaltigen Einfluss darauf, was wir (Männer in diesem Fall) über Sex wissen oder zu wissen glauben.
1. Wer zahlt, schafft an
„Wer zahlt, schafft an.“, ist nicht nur in der österreichischen Politik – wo hauptsächlich Männer das sagen haben – ein Begriff. Der Satz spiegelt zudem auch die gängige Ideologie wieder, unter der Männer (aber auch Frauen) in ihren zwischenmenschlichen Beziehungen immer noch leiden müssen. Doch nicht nur Österreich allein ist von der Annahme betroffen, dass, wenn Männer Frauen einladen, Letztere den Ersteren dafür an einem späteren Zeitpunkt auch einen (sexuellen) Gefallen schuldig sind.
„Wer zahlt, schafft an.“ Wie die Soziologin Eva Illouz in ihrem durchaus bahnbrechendem Buch „Der Konsum der Romantik“ erklärt, ist die Kommerzialisierung unserer Gefühle (vor allem der Liebe) derart fortgeschritten, dass die Qualität und Intimität unserer romantischen Beziehungen geradezu katastrophal verringert worden ist. Objekte (und vor allem Geld) sind zu Vermittlern zwischen den Menschen geworden – vor allem zwischen Frauen und Männern.
Liebe hat sich in eine Ware verwandelt. Und in einer Welt, in der alles einen Preis hat und es gilt, dass der Zahlende immer anschafft, ist es leider nur logisch, dass auch das Zwischenmenschliche genau unter diesem Dogma zu leiden hat. Und so ist der Glauben weit verbreitet, dass Männer, dafür, dass sie bezahlen (aka einladen) von der Frau auch immer eine Gegenleistung einfordern dürfen bzw. im Stillen eine erwarten und wenn diese ausbleibt, enttäuscht davonziehen. Wie verzahnt der Kapitalismus mit dem Patriarchat ist, wird nirgendwo so deutlich wie hier.
2. Mr. know it all
Dieser Punkt ist tricky! Auf der einen Seite wirft man Männern ihre Besserwisserei, vor allem ihr Mansplaining vor. Zurecht, natürlich! Auf der anderen Seite wird von Männern im Patriarchat zugleich aber auch erwartet, über alles Bescheid wissen zu müssen. Ob Vagina oder das Anbringen von Jalousien. Mann gotta know!
Vor allem was den Körper von Frauen betrifft, ist der Druck auf den Mann heutzutage enorm. Er soll alles über den weiblichen Körper, vor allem aber über die sexuellen Vorlieben des individuellen Körpers der jeweiligen Frau wissen, mit welcher er gerade verkehrt. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Mann die Frau eben erst kennengelernt hat und die beiden zum ersten Mal intim miteinander werden. Der Mann hat zu performen. Und anstatt mit einem klärenden Gespräch zu beginnen, legt Mann lieber sofort los, denn etwas nicht zu wissen (auch wenn man es de facto wirklich nicht weiß) ist einer der schlimmsten Gesichtsverluste für Männer im Patriarchat.
Wie das genau aussieht, darüber in einem anderen Artikel mehr. Doch eines ist sicher: Zwischen Autos und Frauen gibt es in der patriarchalen Männerwelt leider nur bedingt einen Unterschied. Denn sobald es ans Rumschrauben geht, muss der Mann über beides Bescheid wissen. Und schraubt auch sofort herum. Auch wenn er in Wirklichkeit keine Ahnung hat, wo er den Schraubenzieher ansetzen und vor allem, wie er ihn genau einsetzen soll.
3. Die Picture show!
Fast alles, was Männer über Sexualität gelernt haben, findet seinen Ursprung hauptsächlich in zweifelhaften Quellen (z.B. Filmen, Pornos usw.) und stammt nur selten von einer realen Frau. Mag sein, dass später die Begegnung mit einer wirklichen Frau dieses vorgefertigte Bild leicht verändert, doch die pubertäre Vorprägung sitzt dann oft schon zu tief. Nur wenige Buben und später Jungen haben in diesen, ersten beiden Jahrzehnten tiefen Kontakt zum anderen Geschlecht.
Alles, was Männer daher über Sex wissen, stammt aus Medienformaten. Formate, die dabei leider selbst nicht viel mehr als Geschichten von anderen Männern sind. Wir erinnern uns an die geringe Anzahl an Regisseurinnen. Auch Formate, die explizit für Frauen produziert wurden, (u.a. erfolgreiche Serien wie Sex and the City, Alle McBeal, Desperate Housewives usw.) zeichnen ein eher trauriges Frauenbild und sind alle von Männern geschrieben und produziert worden. Dass auch Frauen unter diesen Bildern leiden, ist natürlich klar. Aber zurück zu den Pornos: Diese sind die erste Anlaufstelle einer jeden männlichen Sexualerziehung. Leider!
Aus diesem Grund haben Männer es zumeist schon früh versäumt, die Diskrepanz zwischen phantasierter und realer Frau wahrzunehmen. Ihre Erwartungen, Annahmen und „Kenntnisse“ sind oft mit der Realität unvereinbare Wünsche. Unter denen Frauen ebenfalls leiden. So sind viele Männer auf der ewigen Jagd nach ihrer Phantasiewelt, wie es der Psychologe Wilhelm Johnen so treffend auf den Punkt gebracht hat.
Und Männer sind um einiges stärker als Frauen es sich vorstellen können oder möchten, damit beschäftigt, wenigstens Teile ihrer sexuellen Wünsche in die Wirklichkeit zu holen. Es kommt daher viel seltener zu der wirklichen Begegnung mit einer „realen“ Frau, als manch einer annehmen würde. Verständlicherweise ist es schwer eine wirkliche Person zu treffen, wenn man nur auf Frauenbilder fixiert ist. Vor allem zeigt sich der Sex als nicht ganz so erfüllend, wenn die Sexualität nicht an den Menschen orientiert ist, sondern einem Hirngespinst hinterherjagt.
4. Sex als sportlicher Wettkampf
Leider immer noch eine Tatsache: männlicher Leistungsdruck. Und natürlich die Angst zu versagen. Im Beruf. Im Leben. Aber vor allem: im Schlafzimmer. Im verzweifelten Versuch, den hohen Erwartungen gerecht werden zu können, behandeln viele Männer den Sex eher als eine Art Sport, bei dem es um ein bestimmtes Ergebnis geht: Der Orgasmus der Frau. Oder extra egoistisch, nur um den eigenen.
Den Fokus verkrampft auf dieses eine Ziel gelegt, verlieren Männer oft den Blick dafür, worum es wirklich geht: um die Vereinigung zweier Menschen. Um die Hoffnung auf eine tiefe und vertrauensvolle Bindung (egal, ob beim ersten oder 100. Mal!) und nicht um einen sportlichen Wettkampf, der anhand der Minuten gemessen wird, wie lange man seine Ejakulation hat hinauszögern können. Auch in Sachen Sex setzt sich der patriarchale Ansatz in Richtung messbare Quantität fest und es geht um alles andere als um gelebte und gefühlte Qualität, Einfühlung und Sensibilität. Und so bleibt bei den, vom Patriarchat geprägten, Männern der Sex mehr sportlicher Wettkampf als intimer Moment einer zwischenmenschlichen Vereinigung.
Ein weiteres Problem dabei ist, dass sich diese Art von Sex nur im Kopf abspielt – Mann eifert einer Idee, einem Ideal nach, einem bestimmten Ziel. Der wirkliche Genuss mit der Frau (bzw. mit dem Menschen) bleibt schal, da keine wirkliche Begegnung mit einer realen Person zustande kommt. Solange sich Sexualität vor allem im Kopf abspielt und die realen, sinnlich erfahrbaren Reize nur zweitrangig bleiben, ergibt sich auch nur eine reduzierte Erfahrung, die selten wirkliche Befriedigung verschafft. Und alles was man nach getaner Arbeit – die nicht wirklich genossen werden konnte – tun kann, ist es, wie eben nach der bezahlten Arbeit erschöpft ins Bett zu sinken und einzuschlafen.
5. Der aktive Penetrator
Ein weiterer Punkt, der sich im Feld des patriarchalen Leistungs-Phantasmas vollzieht, ist die weit verbreitete Annahme des aktiven Mannes und der passiven Frau. Obwohl sich die Sexualwissenschaft mittlerweile von dieser Ideologie emanzipiert hat, bleibt dieses Konstrukt immer noch hartnäckig bestehen. Ganz im Sinne von: Männer erzählen, was sie mit der Frau gemacht haben und Frauen reden darüber, was sie mit sich haben machen lassen. Wie schon zuvor erwähnt, ist Sexualität etwas, dass sich aus dem individuellen Miteinander erst entwickeln muss.
Doch die Normen und unbewussten Regeln einer Gesellschaft – einer immer noch männerdominierten Gesellschaft – lassen sich aus diesen individuellen Phänomenen leider nicht tilgen und sind eng mit den Subjekten verwoben. Oder wie es Laura Méritt, eine Vertreterin des sexpositiven Feminismus auf den Punkt bringt: „Die konservative Vorstellung von aktiv/passiv, der Mann als Penetrator und letztlich dann auch als der Übergriffige – das ist über Jahrhunderte vermittelt worden. Wir sehen das heute auch noch im Mainstreamporno, und natürlich ist es dann in vielen Köpfen und Körpern so drin.“
6. Der Orgasmus des Mannes als Endpunkt des Sex
Auch ein Mythos, der sich aufgrund von Pornos verbreitet und den vermutlich noch nicht viele hinterfragt haben, ist, dass bei dem Hauptteil aller heterosexuellen Paare der Sex automatisch beendet wird, sobald der Mann gekommen ist. Ein Großteil dieser Pärchen tut es nämlich nach der Faustregel: Die Frau kommt zuerst! (Eine Vorgabe, der sich die meisten Männer, wie in Punkt 4 schon erwähnt, mit der nötigen Wettkampfbegeisterung widmen). Was sich zuerst einmal nett anhört, hat jedoch einen Haken: Denn wenn der Mann vorher kommt, dann kommt die Frau leider überhaupt nicht mehr. Warum? Weil mit seinem Orgasmus die Veranstaltung natürlich beendet ist. Umgekehrt ist das natürlich nicht der Fall. Denn kommt eine Frau zuerst, hört diese nicht auf, sondern macht solange weiter, bis auch der Mann gekommen ist. Ein Ansatz, den Männer auch beherzigen sollten.
7. Die Zahl der Sexual-Partnerinnen fungiert als eine Art Währung
Umso mehr Frauen Mann hat, desto mehr gilt er in diesem patriarchalen System. In Form der Thumbs up anderer Männer. Aber auch bei Frauen erfreuen sich Womanizer, postmoderne Don Juans und Casanovas großer Beliebtheit. Es vergeht daher selten eine Interaktion, in der Männer nicht ab und zu die Info droppen, wie erfahren sie sind – in welchem Bereich auch immer. Und die Anzahl an Sexual-Partnerinnen ist da natürlich ganz groß gefragt. Wobei die Quantität an Eroberungen natürlich nichts über die Qualität aussagt, aber wie wir bereits festgestellt haben, ist Qualität ja ein Thema, das bei Männern im Patriarchat eher weniger gefragt ist.
Der französische Soziologe Pierre Bourdieu trennt in seiner Kulturtheorie die Interaktion des Alltagslebens, – welche er mit einem Spiel vergleicht – in vier Kapitalanlagen, die untereinander umgewandelt werden können. Ökonomisches Kapital, soziales Kapital, symbolisches Kapital und kulturelles Kapital. So kann auch die Anzahl an Sexualpartnerinnen, in einer patriarchalen Welt natürlich, durchaus als symbolisches Kapital gedeutet werden. Und in einer Welt, in der Männer herrschen, scheint der Vielficker auf der Überholspur. Figuren wie Hugh Hefner, Don Juan, Casanova und Co haben sich oft nur aufgrund ihrer Frauengeschichten einen Namen gemacht und brillierten weniger anhand anderer Qualitäten.
In der Serie “Unlearning patriarchy” verlernen wir uns beigebrachte Geschichte und lernen sie aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten. Das Schreiben einer gemeinsamen „We-Story” beginnt damit die alten Geschichten zu verlernen. Sanft, freundlich und vor allem mit dem Vorsatz wenig zu werten.