Article by TWGE Redaktion

Und bist Du nicht willig…

Dann brauch ich Gewalt. Als Femizid bezeichnet man die Tötung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts – und zwar in jedem Land. Auch bei uns. Ebenso tödlich wie eine Waffe ist das Wegschauen.

 

 

 

written by Janina Lebiszczak

Das wird keine lustige Erstlingskolumne. 2021 waren es elf 21 Morde und 38 Mordversuche an Frauen, die wir beweinen, im jungen 2022 passierte es zwei Gassen von mir entfernt. Ich wohne in Wien-Hietzing. Hier ist es angeblich schön, sauber und sicher. Vielleicht passiert es gerade wieder. Vielleicht sind meine Worte nicht mal mehr aktuell, wenn sie veröffentlicht werden. Und auch wenn es in Österreich im internationalen Vergleich zu wenigen Bluttaten kommt – wenn doch, ist das Opfer statistisch gesehen weiblich. Die Gerichtsgutachterin Adelheid Kastner erklärte das in einem Interview so: “Wir haben eine geringe Zahl an männlichen Opfern, weil Männer meist in kriminellen Subkulturen und eskalierenden Auseinandersetzungen getötet werden. Wir sind aber ein relativ sicheres Land, was das betrifft. Allein: Für Frauen gilt das nicht – weil sie in über 90 Prozent der Fälle in Beziehungskonstellationen umgebracht werden.”

SCHWEIGEN IST TÖDLICH

Nun sitze ich da und warte. Warte darauf, dass mir eine Freundin berichtet, wie es ihr ergangen ist in den letzten Tagen. Frage mich, ob es ihr gut geht. Denn ihr Ex-Partner besitzt eine Waffe. Von jenen Herstellern, die letztes Jahr ausgerechnet zum Muttertag mit einem Bild ihres kleinkalibrigen Bestsellers auf Instagram warben. Meine Freundin hat auch viele Bilder von dieser Pistole zuhause. Ihr Kind, dass unter gemeinsamer Obsorge steht, malt sie, wenn es vom Papa nachhause kommt. Niemand sieht die Vorzeichen, niemand hört hin – und dass obwohl der Ex-Partner aufgrund seines Hangs zu Gewalt bereits aktenkundig ist. Ich frage mich, wie viele andere Frauen gerade ebenfalls zittern. Vor ihrem ehemaligen Partner, vor ihrem aktuellen Partner. Eine zarte Ahnung habe ich davon seitdem ich selbst auf Facebook über meine persönlichen Erfahrungen mit gekränkten, wütenden Männern berichtete. Über 200 Frauen haben sich seitdem bei mir gemeldet. Selbstbewusste, starke Frauen. Keine Hascherln, keine „Opfer“ – auch wenn ihnen die schrecklichsten Dinge angetan worden sind. Im Villenviertel, im Gemeindebau, auf der Straße, in der Ehe und danach. Sie alle brachen ihr Schweigen, denn Schweigen ist ebenso tödlich wie eine Waffe in den falschen Händen. Allerdings kann ich diese kollektive Scham nur zu gut nachvollziehen. Warum ist man geblieben? Warum hat man es so weit kommen lassen?  Fassungslos blicke auf die happy Pärchen-Fotos auf Instagram, die eine Bekannte gerade postete. Vor nicht mal sechs Monaten postete sie ihr verquollenes Gesicht, weil er sie im Rausch verprügelte. Eine andere Freundin hat gerade ihren Freund auf Social Media geoutet, auch er wurde handgreiflich. Verzeih ihm bitte nicht, schrieb ich drunter. Seitdem habe ich nichts mehr von ihr gehört.

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LOVE HURTS

Ich muss und möchte euch sagen, dass die Liebe nicht alles heilt. Eure Liebe macht keinen unsicheren, wütenden Menschen zu einem Mann, der mit Herz, Hirn und auf Augenhöhe agiert. Und auch die Zeit verwandelt einen Gewalttäter nicht in einem Engel. Ihr können nichts retten, was kaputt ist. Warum ertraget ihr verbale Herabwürdigungen? Warum überschminkt ihr blaue Flecken? Warum weint ihr heimlich? Warum darf man im Büro und zum Familienfest bloß nichts merken? Warum glauben ihr, dass ihr es nicht wert seid, glücklich sein? Wie kann ich euch diese Angst nehmen? Ihr seid nicht allein damit, selbst wenn es sich so anfühlt. Ihr seid es wert, geachtet und geliebt zu werden. Wir sind es wert. Wir sind viele. Viel zu viele.

Und all jenen Frauen, die erst am Anfang einer miesen Beziehung stehen und ihr ungutes Bauchgefühl immer und wieder wegdrücken, weil der Bad Boy doch so sexy und interessant erscheint, möchte ich sagen, dass ich auch eine Ex-Partnerin jenes Mannes bin, dessen Kind nun Waffen zeichnet. Es war eine kurze Liaison mit einem gefährlichen Narzissten. Er erhob einmal die Hand gegen mich und ich riss sie ihm fast ab. Ich würde gerne alle Hände ausreißen, die sich gegen Frauen und Kinder erheben. Aber ich kann nicht überall sein. Und ich kann keine Kugeln aufhalten.

 

Bitte tut euch das nicht an. Bitte fragt Sie um Hilfe. Bitte geht. Und was jene Frauen betrifft, die bereits den Mut gefunden zu haben zu gehen und nun gestalked, verfolgt und bedroht werden: Ich hoffe aus ganzem Herzen, dass man eure Ängste endlich ernst nimmt. Denn wer wegschaut, egal ob Nachbar:in oder Gesetzesgeber, trägt Mitschuld am nächsten Frauenmord.

24-Stunden Frauennotruf: 01 71 71 9

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In der Serie “Unlearning patriarchy” verlernen wir uns beigebrachte Geschichte und lernen sie aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten. Das Schreiben einer gemeinsamen „We-Story” beginnt damit die alten Geschichten zu verlernen. Sanft, freundlich und vor allem mit dem Vorsatz wenig zu werten.

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