Article by Julia Roschinsky

Genderfluid: Das flüssige Geschlecht

Wenn Verena über die eigene Genderfluidität erzählt, sieht die Reaktion des Gegenübers fast immer gleich aus: Viele Fragezeichen. Im Gegensatz zu bekannten Begriffen wie „Transgender“ können sich Menschen unter Genderfluid häufig nichts vorstellen.

Verena klärt mit uns alle Fragezeichen auf und gibt einen Einblick in das Leben mit einer flüssigen Geschlechtsidentität.

Was bedeutet „Genderfluid“?

 

Genderfluide Menschen fühlen sich nicht nur einem bestimmten Geschlecht zugeordnet. Ihr Geschlecht ist, wie es schon im Namen steckt, fluide. Am besten kann man das mit dem Bild des „flüssigen Geschlechtes“ erklären. Die Geschlechterzuordnung kann also variieren. Je nach Zeit, Situation, Gemütszustand und vielen weiteren Faktoren kann sich so also auch die Geschlechtsidentität ändern. Das kann sowohl binär erfolgen, also männlich oder weiblich, aber auch nichtbinäre Geschlechterzuordnungen sind miteinbegriffen.

Bei Verena ändert sich das Geschlecht so beispielsweise zwischen männlich, weiblich und Agender, also keinem Geschlecht. Wann sich das Geschlecht ändert, ist ganz unterschiedlich: „Bei mir können es Situationen wie das Schwimmbad sein. Wenn ich zum Beispiel einen Bikini trage, mich aber männlich fühle, dann merke ich das. An manchen Tagen wache ich auf und fühle mich maskulin, und an anderen Tagen ist es egal, welches Geschlecht ich habe.“

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Der unsichtbare Teil der LGBTQIA+ Community

 

„Genderfluid“ ist ein relativ neuer Begriff. Viele haben noch nie davon gehört oder können den Begriff nicht genau einordnen. Das liegt laut Verena unter anderem an der fehlenden Repräsentation: „Jeder kennt eine Frau, die auf Frauen steht oder einen Mann, der auf Männer steht. Aber man kennt niemanden, der sich Genderfluid nennt.“

Viele ältere Generationen verstehen Genderfluidität nicht, aber auch die jüngere Generation weiß oft nicht genau, was der Begriff bedeutet: „Transgender oder Gay kennen sie, aber Non-Binary und Genderfluid sind Begriffe, mit denen sie nichts anfangen können, weil sie es nie hören und es keine Präsenz in der Öffentlichkeit gibt.“

Oft fragen Personen nicht nach, obwohl sie den Begriff nicht kennen. Genau das führt aber zu Missverständnissen und Verwirrung. Verena wünscht sich mehr Offenheit: „Man sollte viel nachlesen, viel informieren. Nachlesen, nachfragen. Ich freue mich immer darüber, wenn die Person etwas darüber wissen möchte.“

„Hass habe ich für den Begriff nie bekommen, nur Unverständnis.“

 

Die vielen Fragezeichen um den Begriff führen zu Missverständnissen.

So verwechseln viele den Begriff mit anderen Definitionen wie Transgender oder Non-Binary. Ersterer bezieht sich auf Personen, welche sich nicht dem bei der Geburt zugeschriebenen Geschlecht zuordnen, zweiterer auf Menschen, die sich keinem Geschlecht zuordnen.

Aber auch die Frage nach den Pronomen kann oft für Verwirrung sorgen. Verena empfiehlt, bei Unklarheit einfach nachzufragen. Da sich das Geschlecht häufig ändern kann, kann man also mehrmals nachfragen. So kann auch der äußere Look mit der Geschlechtsidentität nichts zu tun haben: „Teilweise trage ich ein Kleid und fühle mich maskulin. Das Aussehen hat in der Theorie also nichts mit dem Geschlecht zu tun. Es kann in der Praxis aber natürlich überlappen.“

Das wohl gröbste Missverständnis scheint zu sein, dass manchmal Genderfluidität mit Ereignissen oder sogar Trauma in Verbindung gebracht wird. Verena bekam Fragen wie: „„Woran liegt das? Ist da etwas passiert?“. Klar ist jedoch, dass die Geschlechtsidentität völlig unabhängig davon ist. Wie Verena es kurz und klar auf den Punkt bringt: 

„So bin ich einfach“

Der Weg zur Selbstfindung

 

Bis man sich wie Verena zuordnen kann, braucht es oftmals viel Zeit und Mut. Da Genderfluidität nicht weit verbreitet und sichtbar ist, hat es bei Verena lange gedauert, den Begriff überhaupt zu entdecken. Davor stellte Verena sich Fragen zum eigenen Geschlecht, konnte sich aber zu Begriffen wie Transgender oder Non-Binary nicht richtig zuordnen.

Für Verena sind diese Fragen ein Zeichen, dass Genderfluidität vielleicht zutreffen kann: „Eine Sache, die sich jede genderfluide Person fragt, ist, ob man selbst transgender ist.“ Wichtig ist hier, dass das eigene Geschlecht, im Gegensatz zum Begriff Transgender, fluide ist.

Aufgrund des Unverständnisses haben aber auch viele genderfluide Menschen Angst, auszusprechen, dass sie sich der Identität zuordnen. Auch für Verena war das ein langer Weg.

Als Verena es dann aber doch ausgesprochen hat, haben sich viele schöne Situationen ergeben: 

„Ich hatte einmal ein Kleid an, am Weg zu einem Ball. Ich habe eine Freundin getroffen und irgendwie habe ich mich anders verhalten.
Sie hat gleich gesagt: „Heute fühlst du dich männlich, oder?
Sie hat mich dann den ganzen Tag mit den entsprechenden Pronomen angesprochen. Das hat mich so gefreut.“

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