Article by Magdalena Mösenlechner

Alfred Dorfer: Wie sehr hat dir dein Vater gefehlt?

Bei uns im Wild & Golden Talk – Kabarettist und Schauspieler Alfred Dorfer. Aufgewachsen im Gemeindebau als Sohn einer alleinerziehenden Mutter. Das einzige Scheidungskind in der Klasse. Doch damit ist er nicht allein, denn Alfred sieht die Kinder der 60er und 70er als die vaterlose Gesellschaft. Mit The Wild Golden Egg spricht er darüber, was Männer bei emotionalen Themen sprachlos macht, die eigene Traumatisierung und Therapie und wie gelernte Rollenbilder dabei mitspielen.

Obwohl er 1961 geboren wurde, identifiziert Alfred sein Aufwachsen nicht mit dem damals vorherrschenden Frauenbild.

 

Alfred Dorfer: Ich bin unter lauter Frauen aufgewachsen. Das war entscheidend, denn es war für die damalige Zeit etwas Besonderes, weil diese Frauen alle ihr eigenes Geld hatten. Das heißt, sie mussten niemanden fragen, ob sie was kaufen dürfen oder ob sie sich dieses und jenes leisten können. Stattdessen waren das alles berufstätige, gestandene Frauen. So ist mir als Kind schon der Eindruck entstanden, es gäbe nur solche Frauen. Also es gibt keine Frauen, die finanziell abhängig wären. Das hab‘ ich dann erst in der Schule begriffen, dass ich da auf einer Insel aufgewachsen bin, was dieses Thema betrifft.

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Auch heute noch prägt diese Art des Aufwachsens seine zwischenmenschlichen Beziehungen.

 

Alfred Dorfer: Ich wurde geleitet von all diesen Frauen, die mich großgezogen haben. Ich war sozusagen ein Teil des Rudels. Bis auf wenige Ausnahmen sind die entscheidenden Menschen in meinem Leben alles Frauen. Ich fühle mich in der Gegenwart von Frauen einfach wohler, auch ohne romantisches Interesse.

 

Für ihn stereotypes männliches Verhalten, wie das Auftreten in großen Gruppen, lagen ihm nie besonders.

 

Alfred Dorfer: Ich war nie in Männergruppen unterwegs. Ich treff‘ mich zwar mit männlichen Freunden, aber nur zu zweit. So wie man es jetzt sieht am Wochenende, wo dann zehn Buben etwas trinken gehen – das kenne ich gar nicht. Solche Menschenaufläufe und Gruppen waren mir immer zuwider.

Alfred Dorfer

Doch auch wenn sein zuhause ihm ein sicheres Umfeld bot, konnte er strukturellen Einflüssen und Stigmatisierung nicht entgehen.

 

Alfred Dorfer: Es gab andere Dinge, die mich negativ geprägt haben. Zum Beispiel, dass du als Sohn einer alleinerziehenden Mutter damals ein Stigma hattest, vor allem wenn du noch dazu ein Scheidungskind warst. Es war auch juristisch spürbar. Ich bin zwar der Mutter zugesprochen worden, aber der Vater blieb der Vormund. Das heißt, ich musste bei jedem Zeugnis, bei jeder Unterschrift oder bei den Alimenten zu ihm gehen Das hat mich eher seltsam berührt, schon als Kind. Kinder haben einen starken Sinn für Ungerechtigkeiten. Das ist auch das Thema, worum es mir geht. Es geht mir um Gerechtigkeit und nicht um Gleichheit.

Von außen wurde mir als Kind vermittelt, dass bei einer alleinstehenden Frau, die noch dazu als Hort-Leiterin ihr eigenes Geld und einen guten Job hat, etwas faul sein muss. Da stimmt etwas nicht. So wie früher, wenn eine Frau allein im Lokal gesessen und gegessen hat.

 

Was Gewalt an Frauen angeht, sieht Alfred strukturelle Einflüsse der letzten hundert Jahre, die nachwirken.

 

Alfred Dorfer: Das sind zwei Dinge, die für mich zusammenhängen. Einerseits gibt man den Frauen aufgrund ihrer Bezahlung nicht die Chance, sich zu verselbstständigen. Andererseits von der psychischen oder fundamentalen Seite wird ein Unselbstständigkeitsbild der Frau aufgebaut, das soweit führt, dass man die Frau als Eigentum betrachten kann oder als etwas, was man behandeln kann, wie man möchte – notfalls auch mit Gewalt.

Ich glaube wir befinden uns in einem speziellen Übergang. Das heißt, wir sind ein Land, das eigentlich geprägt ist von einem gewissen Obrigkeitsdenken – das unterscheidet uns etwa von Deutschland. Wenn du Obrigkeitsdenken intrinsisch in dir hast, dann musst du das irgendwann einmal abladen. Da staut sich etwas auf in dir. Im Selbstwertgefühl natürlich auch. Das rennt aber eher unterbewusst. Und das nächstgelegene Opfer sind die eigenen Kinder und die eigene Frau.

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Auch das Bild des fehlenden Vaters im letzten Jahrhundert, spielt für ihn eine prägende Komponente.

 

Alfred Dorfer: Ich glaube, es liegt auch an der Historie, dass es nach 1945 viel weniger Männer gab und die Frauen hier den Laden geschupft haben. Dann kamen die Kriegsheimkehrer und haben eine Welt vorgefunden, wo die Frauen eine große Bedeutung hatten. Das musste wieder umgedreht werden. Anschließend kam der Wirtschaftsaufschwung in den Fünfzigern, dieser Boom, der so gestaltet war, dass der Mann gearbeitet hat und die Frau daheim war.

Wir – die Kinder der 60er, 70er, und wahrscheinlich 80er – sind eigentlich eine vaterlose Gesellschaft. Wir haben eigentlich nur Väter gesehen als von der Arbeit kommend und überlastet. Aber du hast kein Bild von einem weinenden Vater, von einem tröstenden Vater und du hast kein Bild von einem Vater, der das offene Gespräch mit den Kindern sucht. Ich glaube das pflanzt sich fort, auch in den Frauen. Weil die Frauen hatten natürlich denselben Vater.

Infobox – Lesetipp

Männer, Männlichkeit und Liebe – Bell Hooks

“Männer können nicht lieben, wenn ihnen die Kunst zu lieben nicht beigebracht wurde. Es ist nicht wahr, dass Männer sich nicht ändern wollen. Wahr ist, dass viele Männer Angst vor Veränderung haben. Um lieben zu können, müssen Männer imstande sein, sich von ihrem Wunsch zu verabschieden, andere zu beherrschen.”

Die Autorin Bell Hooks beschäftigt sich mit dem Thema Männlichkeit. Dabei beleuchtet sie die Bedürfnisse und Verletzlichkeiten von Männern, welche ihnen vom patriarchalen System verwehrt werden. Hooks zeigt, wie gesellschaftliche Konditionierung Männer nachhaltig prägt und schadet. Fehlende männliche Role Models und emotional unerreichbare Väter verwehren Männern den Zugang zu ihren Gefühlen. Ihr Werk ist ein Appell zur Aufhebung traditioneller Werte im Bezug auf Männlichkeit. Es gilt stattdessen dem Ethos der Liebe zu folgen.

Alfred Dorfer

Als Mann gilt es auch zu lernen Emotionen zuzulassen und sich von einem toxischen Männlichkeitsbild zu distanzieren. Eine kollektive Traumatisierung stellt für Alfred auch heute noch ein Problem dar.

 

Alfred Dorfer: In unserer Aufzucht war es so, dass weinende Buben furchtbar waren. Du musstest als. Knabe erst lernen, dass das, was da durch die Augen aus dir herausschießt, nichts Böses ist. Du wirst nicht krank davon. Bei mir kam diese Erfahrung so richtig durch den Schauspielunterricht. Dabei kommst man oft an seine Grenzen.

Das kann wie ein Druckkochtopf sein, wenn du über Jahre oder gar Jahrzehnte gewisse Dinge gar nicht sagen oder zeigen darfst. So wie diese unglaubliche Traumatisierung der Menschen, die aus dem Krieg gekommen sind. Bei der eigenen Geschichte war das sofort so, dass der Deckel drauf war. Ab den 1950er Jahren wurde darüber nicht mehr gesprochen. Es wurde restauriert, aber es wurde darüber nicht mehr gesprochen.

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Auf die Frage hin, wie Alfred den übermäßigen Alkoholkonsum betrachtet und ob wir damit versuchen Emotionen zu betäuben, äußert er ganz eigene Ansichten zu dem Thema.

 

Alfred Dorfer: Also hierzulande war das auch ein Nahrungsmittel übrigens, weil Gerste auch im Winter wärmt.

The Wild Golden Egg: Aber in den 1980ern gab es schon Heizung.

Alfred Dorfer: Erstens ist es kein patriarchales Hilfsmittel, sondern es ist ein Nahrungsmittel und zweitens ist es ein Lustmittel und das darf man nicht vergessen. Wenn es Alkohol nicht gegeben hätte, dann wäre wahrscheinlich unsere Literatur und Poetik-Szene nicht so großartig. Es gibt keinen Salatfresser, der große Werke geschrieben hat, meiner Ansicht nach.

Du wirst, wenn du nach Italien fährst, auch große Feste erlebst. Aber wesentlich weniger betäubt als bei uns. Weil das ein antrainierte Verhalten ist. Also abgesehen davon, dass es einen Riesenunterschied macht, ob du Bier oder Wein trinkst. Das eine ist ein Fusel und das andere ist was anderes. Ich glaube sehr wohl, dass man diese Geschichte so oder so einsetzen kann. Zum Beispiel, wenn ich nach Hause komme von einer Tournee und ich kann nicht schlafen, trink ich Bier. Das funktioniert und ist gesünder als Schlaftabletten.

Dennoch gesteht Alfred ein, dass Alkohol einstweilen dazu benutzt wird, um schwierige Themen einfacher zu besprechen. Das Öffnen auf emotionaler Ebene scheint demnach verknüpft mit dem Konsum von Alkohol.

 

Alfred Dorfer: Ich glaube, dass das gemeinsame Bier auch ein Schuhlöffel sein kann, um über gewisse Dinge zu reden. Es ist aber in Wirklichkeit so, dass in Männergruppen in unserer Generation die emotionale Themenführung nicht sehr ausgeprägt ist. Also man spricht jetzt nicht wirklich darüber was einen berührt oder was einen kränkt. Aber das ist ja wurscht, weil das kann man mit Frauen reden.

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Vor dem Thema mentaler Gesundheit sei Alfred noch nie zurückgeschreckt. Den Grund dafür verortet er in seiner Berufswahl.

 

Alfred Dorfer: Das hängt aber vielleicht auch mit meinem Berufsbiotop zusammen, weil Kunst natürlich eine Nabelschau ist. Das heißt, du beschäftigst dich sehr früh mit dir selbst. Das musst du, wenn du Rollen gestaltest. Dabei nicht über mentale Gesundheit zu sprechen, wäre fast unmöglich.

Vom System her hatte ich großes Misstrauen gegenüber der Psychologie. Zu Recht, wie ich glaube. Es geht aber, glaube ich, doch gar nicht so sehr um Psychologie, sondern es geht darum, dass du einem fremden Menschen gegen Bezahlung, das heißt ritualisiert im Ablauf hast, etwas sagen kannst unter dem unter dem absoluten Zwang der Verschwiegenheit. Trotz dieses Misstrauens habe ich das gemacht und es hat mir geholfen.

In einer Welt, die sich mit dem Klimawandel, Kriegen und anderen Krisen beschäftigt, sucht Alfred dennoch einen positive Sicht in die Zukunft.

 

Alfred Dorfer: Die Probleme, mit denen wir uns derzeit konfrontiert sehen, sind auch eine Chance. Ich glaube, das gewisse zwischenmenschliche Geschichten, Solidarität, Engagement und eine Empathie, die wir verloren haben, wiederhergestellt werden könnten. Wir sehen es jetzt mit der Ukraine. Zum Teil war es auch noch in Anfangsphasen der Corona-Geschichte so, dass wir eigentlich als Gesellschaft zusammenwachsen konnten in einer komplett anderen Qualität. Da müssen dann alle diese Dinge hinten anstehen, weil wir wirklich größere Probleme haben. Sei es, weil der Strom ausgeht oder weil wir wirklich weniger zu fressen haben.

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Den ganzen Wild & Golden Talk mit Alfred Dorfer findet ihr in unserem Podcast!

In der Serie “Unlearning patriarchy” verlernen wir uns beigebrachte Geschichte und lernen sie aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten. Das Schreiben einer gemeinsamen „We-Story” beginnt damit die alten Geschichten zu verlernen. Sanft, freundlich und vor allem mit dem Vorsatz wenig zu werten.

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