Article by Julia Roschinsky

Warum Gewalt gegen Frauen kein Zufall ist

Bereits in der Schule von Männern belästigt, gedemütigt und benachteiligt: Das ist der Lebensalltag vieler Frauen.

Eine der größten österreichischen Tiktoker:innen Malentschi erzählt uns von ihrer Lebensrealität.

Den wissenschaftlichen Aspekt hinter dem Patriarchat erklärt uns Universitätslektor Christian Berger. Denn das Patriarchat ist kein Zufall oder Skandal:

Es hat System.

Warum hat das Patriarchat keine Zukunft?

 

Aktuelle Prognosen sehen eher düster für die Weiterentwicklung des Patriarchats aus:

Chrisitan Berger: Warum das Patriarchat keine Zukunft hat, ist eine spannende Frage. Das wäre nämlich gar nicht meine These, und auch nicht meine Prognose. Das wäre meine Hoffnung, dass wir zu Lebens- und Arbeitsverhältnissen kommen wollen, die frei gestaltbar sind. Wenn wir einen positiven Zukunftsbegriff haben wollen, dann kann das nur einer sein, der von rigiden Geschlechterrollen befreit ist. Diese führen zwar strukturell durchaus dazu, dass Männer mehr Einkommen haben, mehr sozialen Status, aber auch dazu, dass sie sich emotional nur sehr begrenzt entfalten können.

Zum Beispiel in der Kleidung sind Männer eher eingeschränkt. Man muss sagen, Männer haben durch das Patriarchat durchaus diverse Probleme. Es ist die Gruppe der größten Bildungsverlierer. Es gibt unter den Männern die höchsten Raten an Suiziden und Verschuldung. Männer sind die primäre Gruppe, die ein Gewaltproblem hat, die Gewalt ausübt und mit den entsprechenden Konsequenzen leben muss. Auch für Männer gibt es viel zu gewinnen, wenn das Patriarchat hoffentlich Stück für Stück in einem positiven Zukunftsentwurf überwunden wird.

Alle Lebensbereiche von Christian Berger sind vom Patriarchat durchtränkt:

Christian Berger: Ich versuche, meine Männlichkeit oder meine Geschlechtlichkeit stark zu reflektieren. Diese sind nur in Relation zu verstehen. Das geht von der Familie über den Freund:innenkreis, bis in die Arbeitsverhältnisse und in die weitere Gesellschaft. Ich denke, ich habe einen Punkt erreicht, wo ich sagen kann, das Patriarchat begleitet mich seit meiner Kindheit, wie es uns alle begleitet, bis zum jetzigen Tag und vermutlich auch bis zum Tod.

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Christian Berger: “Das Patriarchat umspannt das Leben eines Menschen”

Als Mädchen in der HTL

 

Christian Berger erinnert sich an die Diskriminierung von Mädchen in seiner Schulzeit an der HTL:

Christian Berger: Ich war  in einer HTL für Kunst und Textildesign. In meiner Klasse waren wir über die Jahre hinweg nur noch vier Burschen. Das heißt, ich bin vor allem in meiner Zeit, in der ich angefangen habe, Party zu machen und fortzugehen, damit konfrontiert worden, dass die Mädchen, mit denen ich erwachsen wurde, regelmäßig in Clubs belästigt und reduziert wurden. Aber auch in der Klasse gab es eine Bevorteilung von Männern, gerade im Kunstbereich sind Männer diejenigen, denen man schnell die Genie-Eigenschaft zuspricht und die gerne besonders sind, während sie aber vielleicht das Gleiche draufhaben wie die weiblichen Kolleginnen, die vielleicht nicht gesehen werden oder die vielleicht, auch verdrängt werden.

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Mit 14 auf der Straße verfolgt

 

Malentschi öffnet sich und erzählt von einem tief prägenden Erlebnis aus ihrer Vergangenheit.

Malentschi: Ich bin früh ausgezogen und habe dadurch auch viel erlebt. Ich bin alleine nach Wien gezogen und da gab es einen Abend, an dem ich nach Hause gelaufen bin. Ich war auch ein bisschen leichtgläubig, muss man dazu sagen.Ich war damals 14 und bin von einer Party nach Hause gelaufen, wie man es halt kennt. Ich hatte keinen Akku mehr, und habe dann gemerkt, dass ein Auto neben mir parkt. Dann ist ein Mann herausgekommen und hat mir gesagt: “Du kommst jetzt mit.” Er hat versucht, mich zu belästigen und mich mitzunehmen. In diesem Moment, ich kann das auch gar nicht mehr in Worte fassen, da hat man so viel Adrenalin in sich, dass man gar nicht mehr weiß, wohin mit sich.

Ich habe getan, als würde ich telefonieren. Mama sagt immer, wenn der Akku leer ist, tu so, als würdest du telefonieren. Man muss dazu sagen, das war ein großer, erwachsener Mann und ich als 14-jähriges Mädchen stehe da – weit und breit kein Mensch zu sehen. Ich dachte mir in dem Moment: “Das war’s jetzt.” Dann hat mich der Instinkt gepackt. Ich bin gerannt um mein Leben. Er wollte mich auch schon packen, er hat davor seinen Kofferraum aufgemacht. Das hat mich noch einmal ein bisschen getriggert. Ich habe noch gesehen, wie er hinter mir den Kofferraum zugemacht hat und mir hinterhergefahren ist. Ich bin gerannt, gerannt, gerannt. Ich kann das gar nicht mehr beschreiben, wie krass das eigentlich war. Als ich dann zuhause angekommen bin, ist mir ein Stein vom Herzen gefallen, aber die Wochen danach waren natürlich sehr hart.

Ein ähnliches Erlebnis hatte Malentschi dann noch einmal:

Malentschi: Die zweite Story ist erst vor ein paar Monaten passiert. So etwas passiert mir eigentlich sehr oft, dieses Mal hatte ich es nur aufgezeichnet, weil ich mich da so unwohl gefühlt habt. Wenn ihr die Möglichkeit habt, zeichnet bitte alles auf. Das kann helfen, wie in meinem Fall zum Beispiel. Ich habe mitgefilmt, weil ein Mann mich angemacht hat. Ich saß auf einer Parkbank und der Mann hat gesagt: “Du kommst jetzt mit, ich liebe Frauen” und diese Sprüche, die man als Frau einfach kennt, die man täglich mitbekommt. Ich glaube, wir kennen das alle leider.

Nach ein paar Minuten ist er mir nähergekommen, und da wurde es unangenehm. Da habe ich dann angefangen zu filmen. Da sagt natürlich jeder “Steh auf und geh weg.” Aber wie machst du das in dem Moment?  Woher nimmst du dir den Mut? Das ist ein Mann. Du weißt, wenn der dich packt, bin ich nicht stärker als er. Ich bin ein junges, nicht mal volljähriges Mädchen.
Dann habe ich es angefangen zu filmen und er hat mich wieder zugelabert. Ich kann gar nicht sagen, wie lang das ging. Dann wendete sich plötzlich das Blatt, als zwei Frauen kamen und getan haben, als würden sie mich kennen. „Kommst du dann auch gleich mit? Wir wollten ja noch einen trinken gehen.“ Die haben gesehen, dass ich von einem Mann belästigt werde und haben mich dann mitgenommen.

Das ist so toll zu sehen, wie wir Frauen uns da unterstützen. Ich habe diesen Mädchen so viel gedankt danach, weil wer weiß, was sonst passiert wäre. Ich hatte von mir aus nicht aufstehen können, weil ich so im Schock war. Da standen auch genug andere Personen herum um mich, aber von denen hat keiner etwas gemacht. Ich hatte zuvor auch zu einem Mann an der Bushaltestelle geschaut und auf Hilfe gehofft.

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Gewalt gegen Frauen

 

Trotz Initiativen steht Österreich im Bereich “Gewalt gegen Frauen” am Schlusslicht der EU:

Christian Berger: Österreich ist ein Spitzenland, was Gewalt gegen Frauen betrifft, vor allem auch tödliche Gewalt. Allerdings ist Gewalt gegen Frauen sehr veralltäglicht. Malentschi hat jetzt zwei Geschichten geschildert, die auch prototypisch dafür stehen, wie Frauen von jungen Tagen an verdinglicht und verfügbar gemacht werden. Ein Drittel aller Frauen berichtet von sexueller Belästigung. Man muss wissen, es gibt sehr viel Unterschätzung in diesen Zahlen, weil viele Personen nicht wissen oder einschätzen können, was da passiert ist und es dann gar nicht als einen solchen Vorfall thematisieren.

Auch Malentschi bemerkt, wie alltäglich sie von Frauenfeindlichkeit betroffen ist. So gehören sogenannte, unerwünschte “Dick-Pics” oder das Hinterherpfeifen auf der Straße für viele Frauen zur Normalität. Auch Magdalena bemerkt diese Strukturen in ihrem Leben:

Magdalena (TWGE): : Das geht mir genauso. Ich glaube, es ist zum Teil auch so normal, weil es eine Lebensrealität ist. Es vergehen wenige Tage, wo mir solche Dinge nicht passieren. Ich hatte auch schon Hilfe von einer anderen Frau. Ich war in der U-Bahn und plötzlich kommt eine Frau auf mich zu, umarmt mich und sagt: „Hallo, wie gut, dass wir uns getroffen haben!“ Sie ist mit mir ausgestiegen und ich habe mir zuerst gedacht: „Kenne ich diese Person aus der Uni?“ Draußen hat sie mir dann später erklärt: „Da waren zwei Typen, die haben gesagt, dass sie jetzt aussteigen und dir hinterhergehen. Deshalb habe ich jetzt so getan, als würde ich dich kennen.“ Das war so ein Flashback. Was hätte passieren können? Das ist die Lebensrealität, mit der wir jeden Tag umgehen müssen, die auch traumatisierend ist. Die wir dann auch verarbeiten müssen.

 

 

Unlearning Patriarchy

 

Christian Berger: Sexismus ist kein Skandal, sondern die Normalität. Es ist sehr schwer zu skandalisieren, was wir als normal empfinden. Es kommt darauf an, wie wir sozialisiert sind, wie wir in unseren Familien groß geworden sind, wie die Haushalte strukturiert sind, wie ungleich Mädchen und Buben aufwachsen, wie Mädchen auch gewohnt sind, von klein an degradiert zu werden.

Christian Berger: Es gibt zum Beispiel die Praxis des Rock-Hochziehens. Das kennt man vor allem am Land. Aber auch Mädchen und Frauenwitze, die letztlich immer eine sexistische, verbale Unterwerfung des Weiblichen unter das Männliche bedeuten. Deswegen gibt es keinen Masterplan, das zu überwinden und das zu verlernen. Dass wir das als normal erachten ist sehr relevant, allerdings bedeutet das auch Handeln auf tausend Plateaus.

Man muss diese Verdinglichung sehen, dass Frauen als Objekte wahrgenommen werden, auf die es einen Zugriff gibt.  Ihr habt beide Geschichten genannt, wo im Alltag couragiert eingegriffen wird, aber das war in gewisser Weise ums Eck oder in einer subtilen Form. Eigentlich sollte  das gesamte Publikum, die gesamten Beisteher:innen letztlich offensiv Widerstand leisten.

Das, was beschrieben wurde, waren zwei Vergewaltigungsversuche. Ein schweres Verbrechen. Ein massiver Eingriff in die körperliche Integrität einer anderen Person.  Das zu verlernen, das abzubauen, ist etwas, das kulturell passieren muss, in der Kulturindustrie. Die Kulturindustrie wie Fernsehen, Film und Musik sind sexistisch durchsetzt, wiederholen auch immer Schema oder Stereotypen von der Frau, die gerettet werden muss, dem Mann aus Helden. Es lohnt sich nicht, das zu wiederholen. Allerdings, in der Kulturindustrie, von der Malentschi letztlich ein Teil ist, da sie sehr erfolgreich bist und da auch Widerstand leistet, dort gilt es genau diese sexistischen Vorfälle aufzuzeigen. Dass man sie aktiv thematisiert und aus der Normalität in den Skandal oder in den Bereich des politisch Verhandelbaren rückt. Das halte ich für enorm relevant.

Dann kann man natürlich auch Bereiche ansprechen, die ich auch noch für höchst relevant halte, zum Beispiel den Bereich der Ökonomie. Wo Frauen, das betrifft nicht nur den Gender Pay Gap, nicht nur weniger verdienen und über weniger Vermögen verfügen, sondern auch weniger Kapital besitzen. Insofern kontrollieren Männer, wie produziert wird. Das heißt, nicht nur, welche Güter produziert werden, sondern auch welche Kultur, welche Filme, was für Medienprodukte produziert werden, die in Umlauf gebracht werden. Es liegt letztlich an der Verteilung von Macht. Einkommen aber auch Kapital. Da muss man etwas ändern, damit Frauen aus dem Bereich der untergeordneten Gruppe herausfinden.

Uma (TWGE): Was für mich auch wichtig ist, dass wir alle ja das System sind. Frauen sind genauso das System, wenn sie das verharmlosen. Wenn sie sagen, „Naja, warum läuft die so auf der Straße herum? Was hat die überhaupt an? Wie alt ist die überhaupt?“.
Diese Misogynie ist nicht nur auf Männer beschränkt, sondern diese Mittäterschaft der Frauen untereinander ist auch etwas, das wir durch die Sozialisierung verinnerlicht haben. Aber wir befinden uns jetzt mittlerweile noch immer in einer Debatte vom Binnen-I. Da sind wir irgendwie stehengeblieben. Sage ich jetzt Gast oder Gäst:in? Das ist etwas, das wir verhandeln. Das ist so eine Heuchlerei. Es gibt mittlerweile ein Wort für dieses Vorgehen, das ist das sogenannte „Purple Washing“.

Purple Washing bezeichnet den Vorgang, Frauenthemen auf der Oberfläche zu behandeln und Gleichberechtigung vorzutäuschen, diese aber nicht auszuführen.

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Dieses Interview kannst du in voller Länge in unserem Podcast nachhören.

In der Serie “Unlearning patriarchy” verlernen wir uns beigebrachte Geschichte und lernen sie aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten. Das Schreiben einer gemeinsamen „We-Story” beginnt damit, die alten Geschichten zu verlernen. Sanft, freundlich und vor allem mit dem Vorsatz wenig zu werten.

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