Article by Florentina Glüxam

Warum geschlechtergerechte Sprache Bewusstsein schafft

Während jüngere Menschen durchaus mit diskriminierungsfreier Terminologie vertraut sind, hadern ältere Generationen noch mit dem Binnen-I. Seit Jahrzehnten ist die Geschlechtsidentität Gegenstand hitziger Debatten. Doch was bedeutet „Gender“ wirklich, wofür steht non-binär und warum ist sprachliche Inklusion so wichtig?

Mann und Frau heiraten, zeugen miteinander Kinder und leben bis an ihr Lebensende glücklich vereint. So einfach könnte es doch laufen und niemand müsste sich den Kopf über Gender zerbrechen – oder doch? Die gesamte Gesellschaft in ein Konstrukt zu pressen scheint zwar die einfachste, allerdings nicht die beste Lösung zu sein. Für alle, die sich mit dem Thema noch nicht ganz so vertraut gemacht haben, möchte The Wild Golden Egg in diesem Artikel eine Erklärung zu den Begriffen liefern. Denn Sprache schafft Bewusstsein und deshalb sollten wir Worte auch ganz bewusst verwenden.

Was Gender eigentlich bedeutet

Wir kommen mit unserem biologischen Geschlecht auf die Welt und werden aufgrund dessen sozialisiert. Mädchen werden rosa angezogen und Buben blau, so der Konsens. Doch was passiert, wenn sich Kinder im Laufe der Zeit gar nicht mit ihrem „anerzogenen“ Geschlecht identifizieren können? Müssen sie sich dann dennoch so kleiden und verhalten, wie die Gesellschaft es von ihnen erwartet?

Aus sozialwissenschaftlicher Sicht beschreibt Gender die gesellschaftliche Geschlechterrolle bzw. die konkreten sozialen Geschlechtsmerkmale. Das soziale Geschlecht stimmt also nicht unbedingt mit dem biologischen Geschlecht (sex) überein. Im Englischen wird durchaus zwischen gender und sex differenziert, während man im Deutschen beides unter den Geschlechterbegriff subsumiert. Außerdem gibt es den Begriff des Doing Gender – damit wird impliziert, dass Geschlecht nur eine Konstruktion ist. Frauen stehen selbstverständlich nicht von Geburt an auf rosa und Männer nicht auf blau. Das sind wie viele Klischees nur anerzogene Zuschreibungen die von der Gesellschaft forciert werden.

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Non-binary & Genderqueer

Unter Geschlecht fallen also nicht nur unseren primären und sekundären Geschlechtsmerkmale, sondern auch unsere Geschlechtsidentität. Wie bezeichnet man nun Personen, die sich weder dem männlichen, noch weiblichen Geschlecht zuordnen und sich daher nicht mit der binären Geschlechterordnung identifizieren können?

Nichtbinär oder auch genderqueer sind Sammelbegriffe für sämtliche Geschlechtsidentitäten aus dem Transgender-Spektrum. Hier muss allerdings streng vom biologischen Geschlecht unterschieden werden. Auch Intersexualität ist nicht mit Nonbinarität gleichzusetzen, obwohl es durchaus intergeschlechtliche Personen gibt, die sich zugleich als nichtbinär definieren. Non-binary bezeichnet also ein drittes Geschlecht, welches wir auch unter der Bezeichnung „divers“ kennen. Manche Menschen hingegen ordnen sich gar keinem Geschlecht zu und sind somit „agender“ (ungeschlechtlich).

 

Zur Erklärung: Intergeschlechtlichkeit ist der Begriff für sämtliche medizinischen Phänomene im Bereich des biologischen Geschlechts. Wie etwa Abweichungen der Geschlechtschromosomen, die dazu führen, dass Personen nicht eindeutig männliche oder weibliche Geschlechtsmerkmale aufweisen. Intersexualität betrifft etwa eines von 4500 bis 5500 Babys.

Die Gewohnheit verleitet uns vielfach dazu, in bestimmten Kategorien zu denken. Menschen halten an Konformitäten fest, da sie gewissermaßen auch Sicherheit vermitteln. Deswegen wird die Nichtbinärität oftmals mit einem bestimmten Erscheinungsbild assoziiert. Allerdings können sich nichtbinäre Menschen durchaus „typisch“ weiblich oder männlich kleiden und erfüllen somit nicht das androgyne Klischee. Sie wollen sich lediglich nicht in eine bestimmte Geschlechterrolle begeben und bevorzugen geschlechtsneutrale Pronomen, wie etwa das englische „they“.

Warum sind Pronomen eigentlich so wichtig?

Diese dienen der Inklusion von Personen, die sich als trans oder auch nicht-binär identifizieren. Durch das Angeben der eigenen Pronomen – beispielsweise in sozialen Netzwerken – wird signalisiert, dass die Annahme der klassisch weiblichen oder männlichen Pronomen keine Selbstverständlichkeit sein sollte. Des Weiteren wird den traditionellen heteronormativen Rollenbildern hiermit der Rücken gekehrt. In der deutschen Sprache gibt es bisher noch keine etablierten Pronomen für non-binäre Personen. Vielfach werden deswegen „Neopronomen“ wie xier, dey oder auch gar keine benutzt.

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Cishet oder cis wird zwar häufig als Beleidigung oder Abwertung verstanden, beschreibt allerdings nur jene Personen, deren Gender mit dem bei ihrer Geburt zugeteilten Geschlecht übereinstimmt. Zu den nichtbinären Geschlechtsidentitäten zählen u.a. auch transgender, pangender und bigender. Der Oberbegriff transgender umfasst neben binären Transpersonen (also Frau-zu-Mann und Mann-zu-Frau) auch die nichtbinäre Geschlechtsidentität. Personen, die sich als bigender definieren, können zwischen den Geschlechtsidentitäten wechseln. Pangender bedeutet „allgeschlechtlich“ und bezeichnet somit Menschen, die sich mehreren oder sämtlichen Geschlechtsidentitäten zugehörig fühlen.

 

Nicht zu verwechseln mit der Pansexualität, die lediglich die sexuelle Orientierung beschreibt. Außerdem ist es wichtig bei Geschlechtsidentitäten das Wort “Gender” zu benutzen. Es heißt im allgemeinen “transgender” – nicht “transsexuell”. Denn auch hier hat die eigene Identität nichts mit der sexuellen Ausrichtung zu tun. Eine trans Frau kann ebenso hetero oder queer sein. 

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Wie man diskriminierende Sprache vermeidet

Die Genderdebatte hat die Gesellschaft in Aufruhr versetzt. „Man darf heutzutage gar nichts mehr sagen“, würde so mancher jetzt vermutlich behaupten. Zugegebenermaßen ist es mittlerweile nicht mehr so einfach festzustellen, welche Genderregel aktuell ist. Das Binnen-i hat zwar sowohl Männer als auch Frauen umfasst, allerdings andere Personen ausgeschlossen. Dennoch wird diese Variante beim Verfassen wissenschaftlicher Arbeiten akzeptiert. In vielen Kreisen haben sich nun auch der Unterstrich „_innen“, das Gendersternchen *innen“ und der Doppelpunkt „:innen“ etabliert. Hierbei sind nun alle Menschen unabhängig von ihrer Geschlechtsidentität umfasst, also zum Beispiel auch non-binäre Personen. Gesprochen wird dies mit einer kurzen Pause zwischen dem ersten Wortteil und der Endung.

Wer potenzielle Fauxpas vermeiden will, kann genderneutrale Sprache nutzen, wie etwa „Studierende“ statt „Student:innen“. Meistens ordnen wir Personen aufgrund gewisser biologischer Merkmale automatisch einem Geschlecht zu. Das bedeutet jedoch nicht, dass die betreffende Person mit weiblichen Geschlechtsmerkmalen auch eine Frau ist. Vielleicht identifiziert sie sich selbst beispielsweise als männlich oder non-binär. Um eine Kategorisierung zu vermeiden und sensibler mit der Wortwahl umzugehen, wird in solchen Fällen von weiblich oder männlich gelesen gesprochen.

Sprache schafft Bewusstsein

Das Gendern stand vielfach in der Kritik, den Rede- und Lesefluss zu behindern – vor allem in der deutschen Sprache. Über Jahrhunderte hinweg entwickelten sich die Sprachen stetig fort und unterscheiden sich heute natürlich maßgeblich vom mittelalterlichen Sprachgebrauch. Zu verdanken haben wir dies Menschen, die sprachliche Veränderungen bereitwillig angenommen haben. Sonst wären wir vermutlich beim mittelalterlichen Minnesang stecken geblieben. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass Sprache eigentlich nur Gewohnheit ist. Wir sind schließlich auch in der Lage, eine andere Sprache zu erlernen und uns beispielsweise im Ausland daran zu gewöhnen, nicht in unserer Muttersprache zu kommunizieren.

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Frauen waren in Worten mit maskuliner Endung zwar immer mitinbegriffen, laut Studien dadurch jedoch weniger sichtbar. Die Frage nach dem „Lieblingsschauspieler“ werden die meisten mit einem favorisierten männlichen Schauspieler beantworten. Wird hingegen nach den „Lieblingsschauspielern und Lieblingsschauspielerinnen“ gefragt, sind in der Antwort auch weibliche Beispiele zu erwarten. Das zeigt uns: Weibliche Schauspielerinnen werden erst sichtbar, wenn konkret nach ihnen gefragt wird. Sehen junge Mädchen in technischen Berufen immer nur Männer, so werden sie vielfach annehmen, eine Frau könne so eine Tätigkeit gar nicht ausüben. Sprache ermöglicht uns also, in andere Rollen zu schlüpfen.

Natürlich ist diskriminierungsfreie Sprache nicht die Lösung aller Probleme. Es löst weder die Problematik des Gender-Pay-Gaps, noch jene sexualisierter Gewalt. Allerdings ist sie ein essentieller Bestandteil in der Reformierung eines veralteten und patriarchalen Systems und nicht – wie häufig angenommen – nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Denn Sprache schafft Wirklichkeit. Erst wenn wir unsere heteronormativ geprägten Sprachgebrauch ändern, können wir eine buntere Welt schaffen.

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