Article by Magdalena Mösenlechner

Schwesta Ebra: Feministischer Rap & Mental Health

Was hat Rap mit Feminismus zu tun? Wieso ist Hilfe in Anspruch zu nehmen bei mentalen Problemen so essenziell? Welchen Herausforderungen muss man sich stellen, wenn man als Migrantin in Niederösterreich aufwächst? Wir erörtern im Wild & Golden Talk mit Ebru aka Schwesta Ebra genau diese Fragen.

Ebru Sokolova aka Schwesta Ebra ging mit feministischen Parodien bekannter Rapper auf Tiktok viral. In ihrer EP „Dickpicks“ spricht sie Themen wie sexuelle Belästigung an, die Frauen schon in jungen Jahren betrifft. Im Gespräch mit The Wild Golden Egg erzählt sie, wie toxische Männlichkeit die Beziehung ihrer Eltern belastete, ein emotional unerreichbarer Vater für Schwierigkeiten sorgte und warum mentale Hygiene ein Thema sein sollte, über das offen gesprochen wird.

 

The Wild Golden Egg: Wie bist du aufgewachsen? Was ist dein Bezug zum Patriarchat?

Ebru: Ich bin nicht sehr konservativ aufgewachsen. Es waren eher zwei Welten. Meine Mutter ist das Stadtkind und etwas aufgeklärter und offener. Mein Vater kam aus einem sehr bildungsfernen Haushalt. Beide sind in Bulgarien geboren. Sie sind auch dort aufgewachsen. Ich wurde hauptsächlich von meiner Mutter erzogen. Das war quasi das typische Arbeiterinnen-Bild.

The Wild Golden Egg: Meinst du diese Gewaltenteilung? Also, dass die Mutter die Erziehung übernimmt.

Ebru: Genau, es war dieses klassische Bild von migrantischen Eltern, die in ihren Zwanzigern nach Österreich gekommen sind. Meine Familie zählt zur türkischen Minderheit in Bulgarien. In den Achtzigern sind die wieder zurück in die Türkei. Sie hat dort dann studiert. Dadurch, dass sie aber keine Deutschkenntnisse hatte, musste sie in Österreich dann mehr oder weniger die Drecksarbeit machen. Sie war zum Beispiel um die acht Jahre lang Reinigungskraft in einem Hotel, das ziemlich weit weg war von unserem Dorf im Waldviertel. Wie sich dann laufend ihre Deutschkenntnisse verbessert haben, hat sich auch ihr Beruf verbessert. Sie hat 2012 mit einer Ausbildung begonnen zur interkulturellen Pädagogin. Dolmetschen macht sie auch noch laufend. Meine Mutter kann ziemlich viele Sprachen. Mein Vater ist Arbeiter geblieben.

Einschüchternde Weiblichkeit

 

The Wild Golden Egg: Aber am Anfang standen demnach die klassischen Rollenbilder. Die Mutter war zuhause und hatte einen Nebenjob, der Vater hat das richtige Geld verdient.

Ebru: Also von Erzählungen meiner Mutter weiß ich, dass es sowieso schon viele Vorurteile gab, weil sie aus einem bildungsnahen Haushalt kam und mein Vater eben nicht. Ich wusste natürlich damals nicht, dass es als Patriarchat bezeichnet wird, aber ich habe eben diese toxische Männlichkeit auch zu spüren bekommen, denn es hat ihm Angst gemacht, dass meine Mutter dann auch nach und nach nicht mehr abhängig von ihm war.

The Wild Golden Egg: Also hat ihre Ermächtigung ihn eingeschüchtert?

Ebru: Er hat bewusst forciert, dass diese Abhängigkeit bestehen bleibt. Ein Beispiel dafür wäre, dass ihm das Auto gehörte. Sie hat es eher selten bekommen und es gab auch bestimmte Verbote. Als ich dann älter wurde, habe ich es bei mir auch gemerkt. Es kam zum Beispiel nicht in Frage, dass die höhere Schule, auf die ich gehe, zu weit weg ist. Aber dadurch, dass er eben nonstop gearbeitet hat, war er eher nur an den Wochenenden daheim. Es war auch ein sehr kaltes Verhältnis, muss ich sagen. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass ich ein Mädchen bin. Das Problem bei meinem Vater lag auch speziell daran, dass er sich nicht wirklich mit mir beschäftigt hat. Ich bin mir sicher, wenn jemand ihn jetzt fragen würde welche Musik ich gern höre, würde er das nicht wissen. Es war fast so, als wäre meine Mutter schon immer alleinerziehend gewesen.

Meine Mutter hat hundert Prozent der Care-Arbeit gemacht. Er hat sich wenig bis gar nicht beteiligt, weder physisch noch psychisch oder finanziell. Das wurde richtig abgeschoben auf meine Mama. Deswegen war sie von mir und meinem Bruder stets die Bezugsperson in jedem Bereich.

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Fehlende Väter

 

The Wild Golden Egg: Wie waren die Erwartungen von deinem Vater an dich?

Ebru: Grundsätzlich war mein Vater immer sehr streng. Er hat dafür, dass er mir so wenig mit auf den Weg gegeben hat, sehr viel erwartet und das war irgendwie nie verhältnismäßig. Deswegen haben wir uns auch sehr oft gestritten. Wir hatten nie wirklich eine warme Bindung. Ich kann mich nicht erinnern, dass er mich zum Beispiel mal umarmt hätte oder mir gesagt hätte, dass er mich liebt. Diese Wärme habe ich von meiner Mutter bekommen, von ihm gar nicht. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass er einfach nicht damit umgehen konnte.

The Wild Golden Egg: Sich bei familiären Krisen oder mentalen Problemen Hilfe zu holen wird oft mit Schwäche gleichgesetzt. Männer sollen sowieso nicht schwach sein, aber Frauen auch nicht, denn wir wollen nicht das schwache Geschlecht sein. Glaubst du, dass diese Rollenbildern da hineinspielen?

Ebru: Bei meinem Vater würde das auf jeden Fall zutreffen. Er hatte auch viele traumatische Erlebnisse hinter sich. Aber man sollte es nicht entschuldigen, dass man diese Traumata auf die Kinder überträgt, was er definitiv gemacht hat.

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Der Mann im Haus

 

The Wild Golden Egg: Also war auch dein Vater einfach in diesem toxischen Männlichkeitsbild gefangen. Ein Trauma jagt das nächste, aber ich kann mir jetzt nicht Hilfe holen oder sagen “Ich brauche eine Pause”.

Ebru: Das Problem ist er leidet immer noch unter dem Patriarchat und unter den Vorstellungen, die man einem Mann gegenüber hat. Seine Eltern hatten auch Erwartungen an ihn. Er hat zwei ältere Schwestern und ist zwar der Jüngste, aber er war trotzdem der Mann in der Familie. Er hatte auch Druck, denn er ist in einem fremden Land. Das muss man alles bedenken. Und ich finde, man hat das auch gemerkt, dass er darunter leidet. Man hat den Traum: man kommt hierher, möchte sich was aufbauen, möchte gut verdienen, möchte für die Familie sorgen. Dazu kommen diese typischen männlichen Rollenbilder, die er am Balkan und vor allem im Dorf, mitbekommen hat.

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Queer, Migrantin, Frau

 

The Wild Golden Egg: Wie ist es für dich mit den Rollenbildern? Du bist einerseits Frau, dann queere Person, Migrantin und irgendwann auch noch einfach nur Du. Welche Ansprüche an dich beschäftigen dich?

Ebru: Ich habe sehr früh gewusst, dass ich lesbisch bin. Ich war damit schon immer sehr im Reinen. Mein Problem war dann eben: Wie bringe ich das jetzt meiner Mutter bei? Wir sind einmal im Jahr oder öfter nach Bulgarien oder in die Türkei gefahren. Die Verwandtschaft fragte immer: Wann bringst du einen Freund mit? Also es gab seitens meiner Großeltern immer diese klassischen Erwartungen.

The Wild Golden Egg: Wie ist dein Vater damit umgegangen, dass du queer bist?

Ebru: Als ich begonnen habe damit offen umzugehen, habe ich mit ihm schon nicht mehr gesprochen. Als dann die Scheidung feststand, mussten wir leider noch ziemlich lange mit ihm zusammenleben, weil es nicht so leicht war, dass wir eine Wohnung bekamen. Meine Mutter hat nebenbei viel gearbeitet und musste sich um all das allein kümmern. Ich war noch in der Schule und mein Bruder war noch ein Kleinkind. Und wie es bei vielen migrantischen Familien ist: man hat in Österreich meistens niemanden. Es fehlt die eigene Vernetzung und Verwandtschaft. Wir hatten nur uns.

Feministischer Rap

 

The Wild Golden Egg: Du verarbeitest, deine Erfahrungen als Migrantin in Österreich auch auf Social Media in deinen Videos?

Ebru: Ja, genau. Ich versuche einfach, irgendwie einen Zugang zu finden, damit Leute bei bestimmten Themen zuhören und auch zuhören wollen. Wenn man sich selbst in Themen wie Feminismus einliest, dann will man ja auch mehr und mehr und mehr. Aber die reine wissenschaftliche Auseinandersetzung ist einfach nicht kompatibel mit der Mehrheitsgesellschaft. Wenn man schon anfängt mit Begriffen, die die Mehrheit nicht versteht, kann man diese Mehrheit auch nicht abholen.

Ich versuche auch das Politische da mit reinzunehmen, weil mich persönlich das interessiert. Ich weiß, dass es bei vielen nicht so ist und das ist schade. Politik betrifft uns alle und wenn wir uns nicht dafür interessieren und uns auch nicht mit einbringen, ist das nicht sehr förderlich.

The Wild Golden Egg: Warum hast du Rap als deine Stimme der Wahl für die Dinge, die du sagen möchtest, gesucht?

Ebru: Das war eigentlich Zufall, also absolut nicht gewollt. Musik hat mich schon immer begleitet. Ich komme aber nicht aus einem musikalischen Haushalt. Es hat mich einfach von selbst begeistert. Als die Pandemie anfing, habe ich begonnen, irgendwelche Popsongs umzutexten. Ich habe immer schon viel Deutschrap gehört und mich dann irgendwann mit der Sexismus-Debatte im Rap beschäftigt. Deshalb habe ich dann begonnen dazu Parodien zu machen. Ich habe mir das auch genau überlegt, welche Rapper ich da nehme. Als erstes habe ich dann Yunghurn versucht. Ich habe einfach einen Beat gesucht, der seinem Stil entspricht und dann habe ich das imitiert. Die Intention war natürlich in erster Linie zu unterhalten. Dieses Tiefgründige hat sich dann einfach so ergeben. Das Ziel war quasi zu zeigen, wie wäre Yung Hurn, wenn er Feminist wäre.

 

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Mental Overload

 

The Wild Golden Egg: Wie wurdest du zu dem Thema mentale Gesundheit sozialisiert?

Ebru: Ich muss ehrlich sagen, ich habe lange daheim unter den Umständen gelitten. Meine Eltern haben immer viel gearbeitet und ich war viel auf mich allein gestellt. Ich habe heute auch noch dieses gewisse Gefühl der Einsamkeit, als müsste ich alles selbst bewältigen. Als ich 17 war ging es mir dann sehr schlecht. Da war auch gerade die Scheidung meiner Eltern in vollem Gange. Es lief auch nicht einvernehmlich, sondern durch Gerichtsverhandlungen. Ich war vormittags in der Schule, nachmittags dann vor Gericht. Es war eine ziemliche Streiterei, worunter ich und mein Bruder auch viel gelitten haben. Es hat mich fertiggemacht, weil ich da auch emotional involviert war. Ich habe das nicht verarbeiten können.

Da war dann einfach eine Spitze erreicht, wo ich gesagt habe: Ich kann nicht mehr, ich brauche unbedingt Hilfe. Ich habe davor schon jeden zweiten Tag geweint und bin grundlos nicht in die Schule gegangen. Es hat mich wirklich aufgesogen und niedergetreten. Irgendwann habe ich dann gesagt: „Es reicht, ich brauche unbedingt Hilfe, so kann das nicht weitergehen.“

The Wild Golden Egg: Du hast gesagt, die erste Person, an die du dich gewendet hast, als es dir schlecht ging, war deine Mutter. Wie war die Reaktion?

Ebru: Meine Mutter begann eine Ausbildung zur Psychotherapeutin. Dadurch war dieses Thema dann auch kein Tabu. Sie hat sehr gut reagiert. Sie meinte sofort: Wir werden dir Hilfe suchen. Das ist gut, dass du das beschlossen hast. Ich meine, die hat auch gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Ich bin so oft nicht in die Schule gegangen, weil ich einfach keine Kraft hatte. Ich habe dann zwei Jahre Gesprächstherapie gemacht. Schwerpunkt waren dabei die familiären Geschichten. Es ist so viel zusammengekommen und ich konnte einfach nicht mehr sagen: Warum bin ich eigentlich traurig? Warum geht es mir so schlecht?

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Aufräumarbeit im Kopf

 

The Wild Golden Egg: In der Therapie wurde dieses Wollknäuel an Emotionen dann sortiert?

Ebru: Manche Menschen erwarten sich bei Therapie, dass sie ein- bis zwei Mal hingehen und dann passt alles wieder. So funktioniert das nicht. Das ist ein fetter Knoten, den man ansammelt in Lebensjahren. Bis man den entwirrt, braucht es halt ein bisschen. Das ist ein Prozess. Das muss man auch konsequent machen, sonst funktioniert das nicht.

Ich war damit immer offen, weil ich mir auch denke, es könnte vielleicht auch andere motivieren. Das heißt aber nicht, dass ich vor der Therapie nicht normal war und es dafür jetzt wieder bin – ganz im Gegenteil. Das ist nicht so, wie wenn man ein kaputtes Auto in eine Werkstatt bringt und dann fährt das Auto wieder. Es ist eher so: man bringt das kaputte Auto in die Werkstatt und bekommt eine Gebrauchsanweisung mit, wie man es beim nächsten Gebrechen selbst reparieren kann.

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The Wild Golden Egg: Was glaubst du, wäre passiert, wenn du nicht diese Therapie in Anspruch genommen hättest?

Ebru: Ich hätte die Schule sicher nicht zu Ende gemacht. Ich bin auf jeden Fall sehr dankbar dafür, dass ich einen Therapieplatz bekommen habe, den die Krankenkasse auch übernommen hat. Finanziell wäre das sonst nicht möglich gewesen. Ein Kassenplatz ist ein irrsinniges Privileg, was viel zu viele Menschen nicht haben. Das ist sehr zu kritisieren in Bezug auf das österreichische Gesundheitssystem.

Meiner Meinung nach sollte jeder Mensch einmal Therapie gemacht haben für eine gewisse Zeit. Einfach damit man sich selbst besser kennenlernt. Man kann auch nicht Möbel bestellen und die einfach aufbauen ohne Gebrauchsanweisung. Das habe ich oft versucht. Ich habe dann sogar mal Löcher irgendwo reingemacht, weil ich fest davon überzeugt war, dass da was nicht passt. Aber im Endeffekt war das Loch einfach auf der anderen Seite.

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