Article by TWGE Redaktion
Mein Lebensweg durch das Patriarchat
Für eine junge Frau wirkt das Problem des Patriarchats wie ein brennender Wald. Jeder um dich herumfindet es schlecht, dass der Wald brennt. Ein paar Menschen versuchen das Feuer mit Wassereimern zu löschen. Am Ende brennt der Wald trotzdem weiter.
Ich bin in den 2000ern geboren worden und gehöre somit zu der Generation Z. Aufgewachsen bin ich mit Widersprüchen. Ins eine Ohr wurde mir „Du kannst als Frau alles schaffen!“ geflüstert, ins andere Ohr wurde mir zugeflüstert, nicht zu reden und dem Mann weiter zuzuhören.
Heute möchte ich fünf Zwischenstopps auf meinem Lebensweg machen. Jeder Stopp erzählt eine der vielen Geschichte, die meine Konfrontation mit dem Patriarchat und Sexismus aufzeigen. Wir beginnen ganz am Anfang:
Kindergarten: Eine Geschichte der Ausgrenzung
Als Kind denkt man nicht über die Gesellschaftsstrukturen nach, in die man hinein geboren wurde, aber man bemerkt sie trotzdem. Auch wenn man das Problem noch nicht benennen kann, so findet man kindliche Worte, die es beschreiben: „Das ist unfair!“
Das Gefühl, als Mädchen in den frühen 2000ern unfair behandelt worden zu sein, saß schon in der Kindergartenzeit in meinem Unterbewusstsein. In dem Alter waren es die kleinen Dinge, in denen das Patriarchat hindurch schien. Ich war bereits in der Kindergartenzeit ein Mädchen, das sich lieber Hosen und Turnschuhe statt Kleider anzog. Mit Barbiepuppen dagegen habe ich zwar gerne gespielt, genauso aber auch mit Autos und Dinosaurierfiguren.
Am allerliebsten habe ich mit den Jungen im Kindergarten Abenteuer erlebt. Ob wir verbotene Orte im Kindergarten erkundeten oder im Winter schauten, wer die steilste Rodelpiste herunterschlittern konnte- ich war für jede Aktion zuhaben.
Weil ich ein Mädchen bin. Denn hier kommen die Stereotypen ins Spiel. Als Kind ist es einfach, Sätze, die man von Älteren gehört hat, zu replizieren und zu glauben.
„Mädchen sind nicht stark“. „Mädchen sind nicht mutig“. „Mädchen sind anders als wir Burschen“.
Gerade den letzten Satz höre ich bis heute. In Momenten, wo man einfach nur Mensch sein möchte, wird man auf sein Geschlecht reduziert. Es wird eine Dynamik kreiert, in der das weibliche Geschlecht „das Andere“ ist, „das Fremde“. An die Gemeinsamkeiten denkt in diesen Momenten niemand. In meinem Beispiel wollte ich einfach nur ein Kind sein. Mit den Jungen das nächste Abenteuer erleben. Wer weiß, welche Abenteuer ich verpasst habe, nur weil ich nicht als Bursche geboren wurde
Volksschule: Eine Geschichte des Spotts
Welche Dinge dürfen Mädchen mögen, ohne, dass sich Jungs darüber lustig machen?
Diese Frage kann man wohl sehr gut beantworten, wenn man auf meine Volksschulzeit zurückschaut. In der Volksschule beginnt man, den Charakter auszubauen.
Oftmals findet man in dieser Zeit irgendein Hobby, das ein Markenzeichen von einem selbst wird. Es gibt Kinder, die gerne reiten gehen. Kinder, die gerne Harry Potter lesen. Kinder, die gerne zu ihren Lieblingsbands tanzen und singen.
Schlimm wird es allerdings, wenn diese Kinder zufälligerweise Mädchen sind. Mag man reiten, ist man das komische Pferdemädchen, das nichts anderes in den Gedanken hat, außer ihr Pony. Mag man Harry Potter, ist man direkt ein uncooler Nerd, der keine Freund:innen hat. Die Lieblingsbands sind sowieso alle schlecht, egal ob es eine Boyband, ein Popsänger oder eine Rockgruppe ist. Das Tanzen dazu ist kein echter Sport und Singen ist peinlich.
Mich hat man wahrscheinlich in die Nerd-und Pferdekategorie gesteckt, weil ich gerne Bücher mit Pferdegeschichten gelesen habe (zwei auf einen Schlag!). Eine Boyband-Phase hatte ich leider nicht, aber ich weiß noch ganz genau, dass es nicht gerade angenehm war, damals Justin Bieber oder One Direction Fan gewesen zu sein.
Man kann jedes Hobby durchgehen, das ein Mädchen haben kann, und wird Stereotypen und Anfeindungen finden.
Das ist schade, da Jungs von Mädchen nicht dafür verarscht werden, wenn sie gerne Kampfsport machen oder Star Wars schauen. Die Moral der Geschichte lässt sich in einem knappen Satz zusammenfassen:
„Let women enjoy things.“
Unterstufe: Eine Geschichte des Beautystandards
Die Unterstufe ist ein Lebensabschnitt, in dem einige in der Klasse noch mit Puppenspielen und andere beginnen, Drogen zu nehmen.
Langsam wird das Umfeld und man selbst erwachsen. Der Körper verändert sich, und damit geschieht auf einmal etwas, das diesen Lebensabschnitt hervorhebt: Man beginnt, sich selbst mit dem Umfeld zu vergleichen. Beautystandards sind von nun an ein täglicher Begleiter. Die Bewertung des Körpers passiert bei beiden Geschlechtern. Jungs bewerten auf geheimen Listen, wer in der Klasse den geilsten Arsch hat. Die Mädchen lästern in der Freundinnenrunde über das Make-Up der rivalisierten Gruppe. Auf einmal wird man gemobbt, wenn die Pickel nicht verdeckt oder die Brüste nicht groß genug sind.
Das Aussehen wird zum „Selling Point“ eines Mädchens. Auf den Körper wird ein imaginäres Preisschild gehängt, das dessen Wert bestimmt. Die Unterstufe wird zu einer Art „Germanys Next Topmodel“. Ein Beautycontest, den man unbedingt gewinnen möchte. Denn wer den Wettbewerb gewinnt, gewinnt das Ansehen der anderen Mädchen.
Auch ich war in der Unterstufe diesem Beautycontest ausgesetzt. Einmal hat mich ein Mädchen vor der ganzen Klasse beschimpft und niedergemacht, bis ich weinend wegrannte. Sie war der Meinung, ich wäre zu dünn. Die Folge davon waren jahrelange Selbstzweifel an meinem natürlichen Körperbau. Das ist aber nur meine Geschichte. Was hat dieser Beautycontest mit anderen Mädchen gemacht? Wie hat sich dieser enorme Druck ausgewirkt.
Auf einmal gibt es die ersten Mädchen, die nicht mehr zur Schule kommen. Jahre später erfährt man, dass diese auf Rehab waren. Magersucht. Selbstverletzung. Suizidgedanken. Was als Beautycontest angefangen hat, traumatisiert die Betroffenen für den Rest ihres Lebens. Hilfe von Außerhalb oder Konsequenzen für dieses Mobbing gab es fast nie.
Am Ende gab es keine Gewinnerinnen des Beautywettbewerbs, sondern nur Verliererinnen. Allesamt waren wir Opfer eines Systems, das Mädchen lehrt, ihr Erscheinungsbild so lange zu perfektionieren, bis sie daran zugrunde gehen.
Oberstufe: Eine Geschichte des Datings
Noch angeschlagen von den Beautystandards der Unterstufe komme ich nun in die Oberstufe. Der Wettbewerb um das Aussehen geht noch weiter, jedoch kommt jetzt eine neue Hürde ins Spiel, das sich in der Unterstufe schon angekündigt hat. Im Fokus steht jetzt die Dating-Welt.
Mit frischen 16 Jahren und den Worten „Lass deinen Drink nicht alleine stehen“ geht es dann in die Clubs. Relativ schnell wird mir hier klar, dass meine Freundinnen und ich wohl nie einen Abend erleben werden, wo uns nicht irgendein angetrunkener Mann belästigt. Von am Arsch greifen zu unangebrachten Flirts müssen wir hier so einiges überstehen.
Das einzig Gute ist, dass hier langsam ein Zusammenhalt der Frauen entsteht. Man tauscht Erfahrungen aus und schützt sich in unangebrachten Situationen gegenseitig-so gut wie es eben geht. Auch beim Dating bildet sich ein Freundinnenkreis, dem man alle Probleme erzählen kann. Und diese Probleme sind zahlreich. Von Belästigungen per Social Media, Beschimpfungen als „hässliche Hure“ bei Abweisungen oder Stalking erleben meine Freundinnen und ich alle erdenklichen Situationen. Lehnt man sich dagegen auf, wird die Beschimpfung schlimmer und das Label als „Schlampe“ fällt schneller, als man glauben würde.
Als Frau muss man schnell akzeptieren, dass die Männer nie Schuld tragen wollen. Will man diese nicht daten, sind sie „zu nett für dich“ oder „wollten sowieso nie etwas von dir“. Weist man darauf hin, dass Grenzen überschritten werden, fühlen sie sich in der eigenen Männlichkeit angegriffen. Ebenso, wenn man keinen Sex will.
Schnell lernte ich die Lektion: als Frau kann man hier sowieso nichts richtig machen. Die Gerüchte über jedes Mädchen, egal wieviel oder wie wenig Dating-Erfahrung sie hat, schwirren nur so durch Schule und Freundeskreise. Also hieß es für mich: Zurücklehnen, sich gegen Ungerechtigkeiten trotzdem auflehnen und meinen Freundinnen schnellstmöglich über die neueste, sexistische Flirtline, die mir zuflog, informieren.
Universität: Eine Geschichte der Heilung
Die Schule zu beenden, hieß für mich, den ganzen angestauten Mist endlich zurückzulassen und ein neues Leben zu beginnen. Es brauchte einen Frühjahrsputz für alle Bereiche meines Lebens.
Ich begann ein stabiles Umfeld aus Menschen zu finden, die nur das Beste für mich im Sinn hatten. Außerdem fing ich an, mich von Leuten fernhalten, die mich nicht als gleichwertig ansahen, weil ich eine Frau war. Den Zusammenhalt zwischen Frauen zu fördern. Sie nicht zu verurteilen, jeder Frau zuzuhören und sie zu unterstützen.
Ich begann, Männer nicht zu verurteilen, sondern den Dialog zu suchen. Gleichzeitig aber auch Grenzen zu setzen, wenn ich sie für angebracht hielt. Einzuschreiten, wenn Sexismus weiterhin propagiert wurde.
Der Weg der Heilung hat für mich gerade erst begonnen, aber es ist eine augenöffnende und schöne Erfahrung, zu sehen, was Zusammenhalt und Frauenpower erreichen kann..
Zum Schluss noch eine Golden(Egg)Rule, die die Grundbasis für Heilung ist:
Women support Women!
In der Serie “Unlearning patriarchy” verlernen wir uns beigebrachte Geschichte und lernen sie aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten. Das Schreiben einer gemeinsamen „We-Story” beginnt damit die alten Geschichten zu verlernen. Sanft, freundlich und vor allem mit dem Vorsatz wenig zu werten.