Article by Julia Roschinsky

Wie ich durch Masturbation gelernt habe, mich aus alten patriarchalen Sex-Mustern zu befreien

Die Keys zum erfüllten Sex bereden Nives Gobo, Leonie Rachel und Magdalena und Uma von The Wild Golden Egg in unserer neuen Podcast-Folge. Vom Huren-Stempelpass bis zum Yoni Ei ist alles dabei- offen, ehrlich und direkt. Warum braucht man im Erwachsenenalter noch Sex-Education und wie entflieht man mit Sextoys aus patriarchalen Strukturen? Lest selbst!

Der Hurenausweis

 

Bei vielen Sexualpartner:innen werden Frauen schnell mit Schimpfwörtern wie Hure oder Schlampe abgestempelt.  Solche Bezeichnungen können schon in der Schulzeit anfangen:

Leonie: Ich hatte einmal ein traumatisches Erlebnis. Ich wurde in meiner Schule bloßgestellt. Da wurde mein ganzes erstes Mal erzählt und ich wurde gemobbt. Das hat mich sehr stark geprägt, weil ich danach als “Schlampe” verschrien war. Das hat mir ein sehr gestörtes Verhältnis zur Sexualität mitgegeben. Ich habe dann gelernt, mich von diesen Worten zu lösen, weil das ja nur Worte waren, die Männer mir auferlegt haben. Das war nicht mein Zugang zu Sexualität.

Uma: Wie haben sie dich damals genannt? Schlampe? Hure?

Leonie: Ja, genau, solche Sachen. Wie Jungs halt in Schulen so reden. Ich habe mich in der Zeit sehr verschlossen und danach bin ich in genau das Gegenteil gestürzt. Ich habe mir eine kurzlebige Beziehung nach der anderen geholt, weil ich mir gedacht habe: “Ist der Ruf mal ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert.” Solange, bis ich draufgekommen bin, dass das immer sehr kurzlebig war. Das war nur für den Typen geil. Es ging nur um seinen Orgasmus. Dann habe ich angefangen, mich selbst zu befriedigen. Da habe ich begonnen, meine eigene Lust zu entdecken und gemerkt, was mir gefällt und was ich will. Danach habe ich diese Wünsche auch geäußert und ich hatte das Glück, dann auch Partner in meinem Leben gehabt zu haben, die diese dann auch erfüllt haben. Dann habe ich damit wachsen können. Ich habe eine Ausbildung bei der liebsten Nives gemacht. Mich hat diese wunderbare Yogalehrerinnenausbildung und die Weiterbildungen im Zuge dessen natürlich noch mehr und immer weiter in das Thema reingebracht.

Auch Magdalena hat ähnliche Erfahrungen gemacht:

Magdalena: Wenn ich an den Beginn meines Sexlebens denke, fällt mir auf, dass nicht nur die Männer solche Zuschreibungen gemacht haben. Bei meinem dritten Partner hat eine weibliche Person aus meinem Bekanntenkreis etwas zu mir gesagt, was mich nachhaltig verstört hat: “Jetzt musst du aber aufpassen, dass da nicht zu viele Männer dazukommen. Wenn du mit 20 Jahren schon mit 20 Männern geschlafen hast, dann will dich keiner mehr.” Diese Gedanken hatte ich so nicht in mir drinnen. Aber ab diesen Zeitpunkt habe ich plötzlich angefangen, zu zählen und abzuwägen. Wenn ich die 20 erreiche, dann bin ich eine offizielle Hure. Da kriegt man dann den “Hurenausweis” mit dem offiziellen Stempel. Das funktioniert wie die Stempelkarten.

Ab einer gewissen Anzahl von Sexualpartner:innen scheinen Frauen abgewertet zu werden. Diese Abwertung hat tiefe Wurzeln in unserem System:

Uma: Auch ich habe glaub ich den “Hurenausweis”. Ich weiß noch, ich habe für meinen Freund wirklich aufschreiben müssen, mit wem ich wann und was hatte. Um dann sozusagen zu zeigen, wie viele Männer es denn jetzt waren. Ich glaube, bei drei Partner:innen, da wirst du noch nicht als Hure bezeichnet. Wir sehen da schon, diese Gedanken stecken ja wirklich das System drinnen.

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Wie entflieht man dem Stigma?

 

Das Sexualstigma sitzt tief. Leonie hat sich durch Yoga und ihren Podcast aus den Vorurteilen gelöst:

Leonie: Ich wurde selbstbewusster und habe mich entwickelt. Ich glaube, was mir einfach extrem geholfen hat, war der Sexpodcast. Da ich oft über Sexualität rede, konnte ich durch den Podcast in meiner eigenen Sexualität Heilung erfahren und den Raum für andere Frauen öffnen. Ich glaube, man sollte offener über diese Wunden reden und sich nicht in dieser Scham, die daran noch haftet, vertiefen. Wer sagt denn gerne: “Ich wurde als Schlampe bezeichnet”? Das sagt keiner gerne. Ich finde, wenn man damit offen umgeht, darüber redet und den Raum anderen Frauen gibt, darüber zu reden, kann das sehr heilsam sein. Das habe ich auf jeden Fall gelernt in meiner Yoga-Ausbildung.

Magdalena entfloh dem Stigma, das noch auf dem Land herrscht:

Magdalena: Ich bin weggezogen. Dann war ich halt wo anders, wo mich keiner kannte, und konnte ich mein Leben so leben, wie ich wollte. Da wurde mir klar: Warum sollte ich Dinge bereuen, die sich in dem Moment gut anfühlen, die niemanden verletzen, nur weil die Gesellschaft mich so nicht sehen will? Am Land gab es viele Dinge, die mich verstört haben.  Dort lebt noch die Schlüssel-Schloss Analogie. “Ein Schlüssel, der alle Schlösser schließt, ist ein toller Schlüssel. Ein Schloss, dass von jedem Schlüssel geöffnet werden kann, ist ein schlechtes Schloss.”

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Die Jägerinnen

 

In Filmen, Serien und vor allem in Pornos wird die Frau immer noch oftmals als der passive Teil in einer Partner-Dynamik dargestellt. Nives hat dieses Klischee oft gebrochen:

Nives: Ich habe mir sehr lange meine Männer selbst ausgesucht, wenn ich mit ihnen Sex haben wollte. Das hat sich jetzt ein bisschen beruhigt, vielleicht weil ich älter geworden bin. Ich war nie so der “Erobere Mich”-Typ, sondern “Ich will dich und ich zieh meinen Speer und hole meine Beute nach Hause”. Dadurch, dass ich immer so getickt habe, aber eben nicht ins gesellschaftliche Bild gepasst habe, hatte ich dann natürlich Probleme.

Viele Männer konnten mit der Rolle der aktiven Frau nicht umgehen:

Nives: Viele Männer konnten mit diesem Jägerinneninstinkt nicht umgehen. Beim Thema Sexualität gibt es ja verschiedene Vorlieben. Am besten ist es, wenn beides in beiden vorhanden ist. Wenn die Frau sowohl den aktiven Part hat als auch den Passiven, und der Mann genauso. Beim Mann ist das Passive, in die Hingabe gehen zu können und sich zum Beispiel reiten lassen zu können. Aber solange man in diesen althergebrachten, traditionellen Genderrollen funktioniert, wird es schwierig.

Dazu kommt, dass oftmals die Bedürfnisse der Frau nicht erfüllt werden:

Magdalena: Gefühlt ist die weibliche Sexualität in unserer Gesellschaft immer noch als dem Mann dienend verankert. Ich habe das Gefühl, viele Frauen, gerade wenn man noch jung ist, haben auch Schwierigkeiten, ihre Bedürfnisse anzusprechen. Wenn man einmal etwas kritisch anspricht, dann stößt das auch nicht gerade auf Freude bei manchen Männern. Ich war tatsächlich einmal in der Situation, wo mich ein Sexualpartner gefragt hat: “Wie oft bist du denn gekommen?” und ich antwortete: “Naja, gar nicht”. Seine erste Reaktion war zu fragen: “Ist bei dir irgendetwas nicht okay, kannst du gar nicht kommen?”. Natürlich kann ich. Gib mir drei Minuten, das mach ich selber. Der hätte nicht daran gedacht, dass es vielleicht am Zusammenspiel lag, dass er zu wenig auf mich geachtet hat. Ich habe versucht, ihm etwas mitzuteilen, aber er wollte es eben nicht hören.

Welche Bedürfnisse haben Frauen eigentlich?

Nives: Man muss sich die Frage stellen, was brauche ich, damit ich angeturned bin, und das dann auch zu kommunizieren. Die wenigsten Frauen brauchen Missionar Stellung und einen harten Fick.

Magdalena: Ich glaube, ein Problem ist die Kommunikation. Da spielt die toxische Männlichkeit hinein: “Ein Mann darf  nicht versagen, der muss alles können”. Wenn ich dann etwas feedbacke, wenn ich sagen will, was ich brauche, dann ist er verletzt. Denn  er hat ja quasi einen Fehler, der ja keiner ist, gemacht, weil er kann ja nicht Gedanken lesen. Das ist ein Problem des Patriarchats.

Leonie: Wenn ich mit jemandem intim wurde, habe ich das so weit schon gehabt, dass ich dann schon wusste, wie wir funktionieren. Die Chemie merkt man ja ein bisschen. Dann hat das eigentlich ganz gut funktioniert. Ich finde, man muss auch als Frau glaub ich in die Position gehen und sagen: “Mir taugt das, dann mach ich das auch so.” Zum Beispiel, ich bin gerne oben. Früher war ich das nie gerne. Man kann das auch einfach selber bestimmt haben, dass sich der Partner hinlegen muss. Ich glaube auch, dass das für viele Männer sehr anziehend ist, wenn man so agiert. Ich denke, dass es gar nicht so viele sind, die sich denken: “Oh Gott, ich will das nicht”. Die kennen das vielleicht auch gar nicht, dass jemand so selbst bestimmt im Bett ist. Es tut dem Ego von Männern ganz gut, mal loszulassen.

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Neue Partnerschaftskonzepte aus der Vergangenheit

 

Um nicht in alte, patriarchale Partnerschaftsmuster abzurutschen, braucht es neue Konzepte. Manchmal findet man gute Ideen aus vergangenen Zeiten:

Leonie: Ich habe in der Ausbildung von Nives gelernt, dass die Kelten jedes Jahr ihr Ehegelöbnis verlängert haben und gesagt haben: “Wir gehen ein Jahr länger miteinander”.  Ich glaube, man kann den Prozess aktiv mitgestalten, sodass man definitiv nicht in einer Ehe gefangen ist. Was Beziehungen und Ehe betrifft, bevorzuge ich monogame Beziehungen. Ich finde, dass die Ehe auch einen schlechten Ruf hat. Ich finde es an sich ein schönes Konzept, bei dem man die Form mitgestalten kann. Ich finde die Verbindlichkeit schön, zu sagen: “Du bist definitiv der Partner, mit dem ich, wenn wir das Beispiel nehmen, das nächste Jahr gehen möchte. Ich möchte mit dir den Weg gehen”. Sagen wir, wir machen einen Fünf-Jahresplan. Dieses Commitment ist etwas, das mir persönlich in meiner Generation eher fehlt.  Deswegen finde ich Commitment schön, wenn man es sich schenken kann und mit vollem Herzen bereit ist, diesen Prozess aktiv mitzugestalten. Rechtzeitig Bescheid zu sagen, falls etwas nicht passt. Dann finde ich das eigentlich ein sehr schönes Konzept. Das muss auch nicht jedem Gefallen. Ich strebe das an, für mich ist das mein goldenes Ei, sozusagen.

Magdalena sieht das ähnlich:

Magdalena: Ich glaube, dass auch jeder Ehe selbst definieren kann. Zum Beispiel, wie er sie leben will, und sich eigene Prinzipien und Gesetze darin aufstellen kann. Tatsächlich bin ich ja verlobt. Ich habe den Antrag gemacht – also ich habe ihn gefragt, ob er mich heiraten will. Und er hat ja gesagt. Aber es fängt schon bei der Hochzeit an, dass wir sie so machen, wie wir es möchten. Ich zum Beispiel werde kein Weiß tragen, weil ich weiße Kleider nicht schön finde. Ich sehe mich selbst nicht in dem und auch dieses Symbol der Jungfräulichkeit in Kleidform, das ist nicht meins. Ich werde mich auch sicher nicht von meinem Vater zum Altar führen lassen. Von einem Mann zum anderen übergeben werden. Wir werden das einfach so gestalten, wie wir das möchten. Es wird auch keine kirchliche Trauung geben. Natürlich will ich diese Dinge nicht abwerten – das darf ruhig jeder und jede selbst entscheiden. Ich glaube schon, dass man sich das selbst gestalten kann.

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Sex-Education

 

Egal, ob man am Beginn der Reise in die eigene Sexualität steht oder 40 Jahre in einer Partnerschaft ist: Man muss seine eigene Sexualität immer wieder aufs Neue kennenlernen:

Leonie: Sexualität ein wichtiger Bestandteil von meinem Leben ist, egal, ob ich alleine bin oder mit jemandem. Sich selbst mit seiner Sexualität beschäftigen ist wichtig. Welche Berührungen gefallen mir? Wir Frauen beginnen unsere Sexualität mit unserem Partner anstatt mit uns selbst. Das ist ein Hauptpunkt. Wenn ich von 16-jährigen Mädchen Podcast Fragen bekommen,sagen sie oft: “Ich weiß nicht, wie ich das Thema angehen soll”. Sie wissen nicht, wie sie sich selbst befriedigen können, weil sie keine Ahnung davon haben, was da eigentlich passieren kann, weil sie das auch nicht kennen. Eigentlich finde ich das voll schade, dass es da keine Offenheit gibt. Eltern könnten erklären: “Hey, das ist Selbstbefriedigung, fang vielleicht damit an und schau, was deine Bedürfnisse sind und dann gehe in eine Partnerschaft, wo du deine Sexualität vielleicht vertiefen und entdecken kannst. Am besten mit jemandem auf Augenhöhe”. Da ist es vielleicht auch der Erziehung geschuldet.

Nives: Gerade Mütter mit ihren Töchtern ist so etwas wichtig. Bei den Jungs passiert es oft von alleine. Also mein Sohn ist sieben, der ist voll ready, eigentlich. Ich glaube, bei den Jungs geht das ganz viel schneller. Ich glaube, die Mütter müssen da in Bezug auf ihre Töchter ganz schnell Verantwortung übernehmen. Das können auch nur Mütter machen, die selbst mit ihrer Sexualität im Einklang sind, so wie du das sagst.  Ich habe meine ersten Orgasmen mit 30 gehabt, wo ich begonnen habe, die Verantwortung für meine eigene Sexualität zu übernehmen und mich selbst zu befriedigen. Ob ich mein Yoni Egg reinstecke oder Gebärmutterarbeit mache.

Gebärmutterarbeit ist besonders hilfreich:

Nives: Die Gebärmutter ist sozusagen unser zweites Gehirn. Da muss man Verantwortung übernehmen und sich fragen: “Wie pflege ich diesen Raum? Welche Hormone schütte ich mir da hinein? Wie gehe ich mit meiner Menstruation um? Wie gehe ich mit diesen unterschiedlichen Phasen meiner Fruchtbarkeit um, mit meinen Hormonen?” Da gehört Bildung dazu. Sexualität ist etwas, das wir lernen und erlernen können. Ich glaube, je spielerischer wir damit umgehen, umso gesünder ist es für uns alle. Bevor ich in Sexualität mit jemandem anderen gehen kann, muss ich mich als Frau kennen. Ich muss wissen, wie ich funktioniere. Ich muss nicht ständig zum Frauenarzt rennen und mir die Titten abtasten lassen, wenn ich sie mir selber jeden Tag mit Öl massiere. Für mich gehört zum Beispiel Brustmassage zu meiner Intimpflege. Aber es gibt mehr Fragen: “Wie gehe ich mit meinem Frauenkörper um? Schiebe ich mir einfach Tampons rein und warte, bis die Regel vorbei ist, oder schaue ich mir mein Blut an? Gehe ich damit in Resonanz?” Wenn ich mit einem Mann im Bett war, reinige ich meinen ganzen Gebärmutterraum energetisch, und schaue, dass dieser Raum, mit dem ich soviel wahrnehme und fühle, mir gehört und dass ich damit in Verbindung gehe. Man muss auch sehr respektvoll mit diesem Raum umgehen.

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Sextoys für das neue System

 

Leonie definiert 3 Dinge, die essenziell sind, um aus der patriarchalen Sexualität auszubrechen:

Leonie: Ich glaube, es wäre mir wichtig, dass Frauen aufhören, sich als Opfer des Patriarchats zu sehen und in die Selbstbestimmung hineingehen. Ich würde Selbstbestimmung  hineinwerfen. Vielleicht Sextoys?

Magdalena: Eine Runde Sextoys?

Leonie: Wenn jemand gerne Hand anlegt, soll er Hand anlegen. Sich aber selbst berühren können ist wichtig. Sich selbst Liebe schenken können, sich selbst Vergebung schenken können für Sachen, die vielleicht nicht gut gelaufen sind, aber trotzdem auch in den Fokus richten: “Okay, was brauch ich jetzt? Was will ich jetzt? Wo will ich hingehen?” Und diesen Weg zu verfolgen. Diese Selbstbestimmung, das würde ich mir einfach wünschen.

Magdalena:  Ich habe da jetzt  schon drei tolle Begriffe gehört. Wenn ich zusammenfassen darf: Wir brauchen Selbstbestimmung, Selbstbefriedigung und Selbstverständnis.

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Dieses Interview kannst du in voller Länge bald in unserem Podcast nachhören.

In der Serie “Unlearning patriarchy” verlernen wir uns beigebrachte Geschichte und lernen sie aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten. Das Schreiben einer gemeinsamen „We-Story” beginnt damit, die alten Geschichten zu verlernen. Sanft, freundlich und vor allem mit dem Vorsatz wenig zu werten.

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