Article by Magdalena Mösenlechner

Matthias Strolz: “Mein Vater war ein untypischer Mann”

Vom Mini-Ranger in Vorarlberg, über eine Parteigründung in Wien zum mehrfachen Buchautor. Matthias Strolz erzählt im Wild & Golden Talk was er über Männlichkeit gelernt und verlernt hat, was das Philosophieren mit Bäumen hervorbringt und wie er Naturwissenschaft mit Spiritualität versöhnen will.

Matthias Strolz veröffentlichte 2022 sein neues Buch “Gespräche mit einem Baum”. Darin sinniert der Wahlwiener aus dem Vorarlberger Ländle über die großen Fragen und kleinen Ärgernisse des Lebens. Gemeinsam mit T.W.G.E Gründerin Sabine und Redakteurin Magdalena darf er auch im Wild & Golden Talk sinnieren – etwa über das Thema Männlichkeit.

Gelernte Männlichkeit

 

Sabine: Was hast du über Männlichkeit gelernt? Wie war dein Vater?

Matthias Strolz: Mein Vater war einerseits ein klassischer Mann seiner Generation. Die haben nicht viel über ihre Gefühle gesprochen. Die waren gar nicht fähig, über ihre Gefühle zu sprechen.

Magdalena: Sie hatten das Werkzeug nicht.

Matthias Strolz: Nein, das galt jetzt nicht als männlich. Aber das war auch keine bewusste Entscheidung. Das kam damals einfach nicht vor. Wir wissen auch nicht, wie sehr sie Gefühle hatten, weil sie sich nicht mitgeteilt haben. In seinen letzten Wochen war er schwer krank. Wir haben ihm dann Massagen gegeben. Das war meine erste Massage, die ich meinem Papa gegeben habe. Es war sehr berührend, sich körperlich so nahe zu kommen. Berührung ist auch was Neues, wenn jemand sonst wenig Gefühle zeigt. Aber wir haben schon uns umarmt in der Familie. Die Mama hat das geliebt und der Papa hat es erduldet, dass die Kinder auch nachts gekommen sind. Da haben wir für damalige Verhältnisse ein sehr gesundes Körperverhältnis zueinander gehabt. Trotzdem war es unüblich, dass ein Sohn einen Vater massiert und das geht nur im Angesicht des Todes.

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Ausbruch aus gelernten Rollen

 

Matthias Strolz: Andererseits war mein Vater ein untypischer Mann. Er hat sich den normativen Zuschreibungen eines Mannes entzogen hat, wie etwa dem Stammtisch. Der Stammtisch hat ihn dann auch immer ein Stück weit fast lächerlich gemacht. Mein Papa hat sich selbst einen Spitznamen verpasst. Wir haben eine kleine Landwirtschaft übernommen, deshalb nannte er sich der „Ranger“. Die Männer in der Gemeinde haben das mit etwas Bewunderung aber auch viel Häme goutiert. Die haben ihn nicht ganz für voll genommen, weil er halt diesem Bild eines Stammtisch-Helden nicht entsprochen hat. Dafür hatter er zu viel Selbstironie, und das war damals nicht Teil eines Menschenbildes.

Magdalena: Echte Männer lachen nicht.

Matthias Strolz: Nein, nicht über sich selbst, nur über andere. Ich kann mich erinnern an einen Vorfall beim Skifahren. Da hat mir ein großer mächtiger Mann beim Steigbügel vom Lift geholfen. Der hat gesagt: „Hey, du bist doch der Mini-Ranger.“ Das war für mich als angehender Jugendlicher sehr schwierig. Ich war gewissermaßen die Persiflage auf die Karikatur.

“Mein Vater war einerseits ein klassischer Mann seiner Generation. Die haben nicht viel über ihre Gefühle gesprochen.” -Matthias Strolz

Magdalena: Also es war nicht so sehr das Bild, was der Vater vermittelt hat, sondern wie die Außenwelt auf den Vater reagierte.

Matthias Strolz: Genau, und ich war die Miniaturausgabe davon. Also noch weniger ernst zu nehmen. An dem Tag habe ich mir vorgenommen: Denen zeige ich es.

Sabine: Das heißt, Männlichkeit ist für dich vom System auch außen geprägt worden. Also was das bedeutet ein Stammtisch-Held zu sein und sich über andere lustig zu machen. Was hast du noch gelernt im Dorf?

Matthias Strolz: In meinem neuen Buch „Gespräche mit einem Baum“ philosophiere ich mit meiner Föhre darüber und spüre dem nach. Das Männliche sucht stark den Respekt und will Macht und Sozialprestige. Deswegen war ich da als junger Mann so empfindlich, weil ich gemerkt habe, die respektieren meinen Papa nicht. Mein Vater ist mein Held. Mit jedem Jahr wird mir das klarer, dass er ein Held ist. Aber natürlich habe ich mir damals geschworen „Denen zeige ich es.“ Ich werde so viel Sozialprestige akkumulieren, dass ihr gar nicht nachkommt, mit dem Staunen. Vielleicht ist das ein Grund, dass ich dann Schulsprecher und anschließend ÖH-Vorsitzender geworden bin.

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Alkohol als Coping-Strategie

 

Sabine: Bell Hooks ist eine bekannte Feministin und sagt, dass eigentlich die Krise des Patriarchats die fehlenden Väter sind. Das heißt, wir leben in einer Generation, wo viele Männer eigentlich keine Beziehung mit ihren Vätern haben. Die Kriegsgeneration ist traumatisiert. Wir haben Dinge gelernt wie, dass man über Gefühle nicht spricht oder das ein echter Mann nicht weint. Auch Alkohol gilt als Zeichen der Männlichkeit.

Matthias Strolz: Als Jugendlicher weghacken am Wochenende und du bist sehr männlich. Ich habe 15 Jahre gebraucht, bis ich verstanden habe, dass das nur ein Kompensieren der Sprachlosigkeit ist. Wir waren als junge Männer sprachlos.

Magdalena: Was macht denn das mit Gefühlen? Was passiert mit Emotionen, wenn ich sie mit dem Alkohol weghack?

Matthias Strolz: Es ist eine Coping-Strategie, die nicht nachhaltig ist. Wenn der Rausch verfliegt, dann hast du deine Probleme nicht angebracht, du hast sie ja nicht einmal erkannt. Das ist eine kurzer Ausflug in eine andere Sphäre und schlussendlich mussten wir auch froh sein, dass wir es überlebt haben als Junge. Ich habe schon viele Unfälle gehabt im Rausch.

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Der Wunsch nach Alternativen

 

Sabine: Wann ist in dir dieser Wunsch aufgekommen, dich nicht mehr permanent wegzuhacken, sondern einfach dich auf eine Reise zu begeben, die dich jetzt letztendlich dazu geführt hat, dass du mit Föhren sprichst und dass du über Themen in der Öffentlichkeit sprichst wie eigentlich wenig Männer in Österreich.

Matthias Strolz: Ich glaube, einer der Anfänge war, dass ich eine Hautkrankheit entwickelt habe mit 15 Jahren. Die Schulmedizin war ein bisschen ratlos, sie hat das auch zehn Jahre lang falsch diagnostiziert. Ich bin damals von meiner Mutter auch zur Komplementärmedizin geschickt worden. Ich halte große Stücke auf die Schulmedizin, denn sie hat uns sehr weit gebracht. Aber Komplementärmedizin kann ergänzen und auch andere Aspekte öffnen. Vor allem haben sie eine andere Herangehensweise. Eine Komplementärmedizinerin hat mir Fragen gestellt, die mir noch nie jemand gestellt hat. Wer ist dieser Matthias? Was macht der gern? Was zwickt den? Plötzlich war da eine Sprache. Das Ende der Sprachlosigkeit aus einem therapeutischen Kontext. Es hat sich davor nie jemand interessiert für diese Dinge.

Magdalena: Es ist was passiert mit dem Körper und dann hast du dich mental damit beschäftigen müssen, was da los ist.

Matthias Strolz: Körperbewusstsein war ein großes Thema für mich. Als Bergbauernkind in einem bäuerlichen Milieu habe ich null Körpergefühl mitbekommen, weil der Körper ein reines Arbeitsinstrument war. Unsere Kinder haben mit elf ein besseres Körperverständnis als ich mit 30 hatte. Ich war sehr körperignorant und das war Teil des männlichen Selbstverständnisses.

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Gelernte Weiblichkeit

 

Sabine: Was hast du gelernt über das Weibliche?

Matthias Strolz: Mein Vater hat das Weibliche immer hochgehalten und wertgeschätzt. Das habe ich auch in meiner Rede bei seinem Begräbnis erwähnt. In seiner Generation und in Stadt und Land gibt es auch ganz andere Möglichkeiten auf das Weibliche zu schauen. Zum Beispiel abwertend und in einem Kontrollwahn. Das war meinem Vater fremd. Der hat Frauen verehrt in ihrem Weiblichen. Er hat auch gerne Blumen mitgebracht. Das sind Gesten der Wertschätzung in seiner Generation. Mein Vater wurde von den anderen Männern im Dorf schräg angeschaut, weil er weibliche Seiten hatte. Der Mann hat große Angst vor dem Weiblichen.

Sabine: Warum?

Matthias Strolz: Weil diese Energie so unkontrollierbar ist. Weil ihr das Leben zur Welt bringt. Und weil wir das nicht können. Wenn da was ist, was wir nicht können, dann müssen wir es zumindest kontrollieren.

Sabine: Was ist die Angst des Mannes?

Matthias Strolz: Kontrollverlust. Uns sind Macht, Respekt und das Heldendasein wichtig. Dann gibt es da eine Instanz, die uns möglicherweise übertrumpfen könnte in Sachen Macht. Deswegen haben wir die Frauen kontrolliert etwa über Krieg. In mir wohnen 10.000 Jahre Krieg – das kennt ihr gar nicht. Wenn einer behauptet “Nein, in mir nicht“, dann ist er abgeschnitten von sich und diesen Anteilen. Auch in Frauen wohnen wilde Dinge, wie etwa Scham, Beschämung und Vergewaltigung.

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Unlearning Patriarchy

 

Magdalena: Demnach entspringt dieses Streben nach Macht im Männlichen einer tiefen Verunsicherung. Das Narrativ von der irrationalen, unkontrollierbaren Frau spielt da rein. Man sollte also eigentlich nach innen schauen und mit den eigenen Unsicherheiten umgehen, anstatt nach draußen zu schauen und alles kontrollieren zu wollen. Wir kommen wir aus dieser Misere wieder hinaus?

Matthias Strolz: Es ist völlig unvorstellbar für unsere Kinder, dass die Frauen bis in das Jahrzehnt, wo ich geboren wurde, vorher ihren Ehemann fragen mussten, wenn sie eine Arbeit angenommen haben. Das halten unsere Töchter nicht mehr für denkbar. Daran erkennt man den riesigen Fortschritt und aber es gibt noch unendlich viel zu tun. Wir müssen in unserer Verletzlichkeit anfangen. Wenn wir nicht darüber reden, dass in den Frauen 10.000 Jahre Verletzung, Beschämung und Vergewaltigung wohnen, dann werden wir auch nie verstehen, warum sich ganz viele Frauen für ihren Körper schämen.

Magdalena: Ich glaube wir müssen darüber reden, weil es noch nicht so lange her ist. Viele Dinge die du erwähnt hast sind historisch gesehen kaum zwei Minuten her. Diese Internalisierung geht nicht von heute auf morgen weg. Nur weil wir jetzt als Frauen Rechte haben, heißt das nicht, dass alles überstanden ist.

Sabine: Wir müssen uns fragen, wie wir die Wahrnehmung und Wertschätzung des Weiblichen in uns verändern können. Hast du weibliche Anteile in dir?

Matthias Strolz: Ja, viele, glaube ich. Die sind auch wichtig.

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Der Umgang mit Schmerz

 

Sabine: Was sagst du zu Männern, die nicht über ihre Gefühle sprechen?

Matthias Strolz: Ich war mit für PULS 4 mit den Männern im Wald und habe eine Sendung darüber gemacht. Da gibt es eine Generation von Männern, die das peinlich finden, wenn wir uns fetzen im Gras und wenn wir uns auch über Sexualität unterhalten. Natürlich tut das weh, wenn dann so viele draufhauen und sagen, dass das irgendwo zwischen Schwurblertum, Esoterik und Wissenschaftsfeindlichkeit oszilliert.

Sabine: Das ist das Dogma, in dem wir leben. Du darfst dich als Mann in einem bestimmten Rahmen verhalten und als Frau auch. Ich glaube aber schon, dass eine Frau mit noch schlimmeren Anfeindungen umgehen müsste. Was machst du mit diesem Schmerz dann?

“Als Bergbauernkind in einem bäuerlichen Milieu habe ich null Körpergefühl mitbekommen, weil der Körper ein reines Arbeitsinstrument war.” -Matthias Strolz

Matthias Strolz: Ich spüre ihn im Gesamtsystem. Der macht mich unruhig. Der schickt mich in den Reflex der Gegenwehr. dann nehme ich. Ich habe dann angefangen, manche zu blockieren, weil man muss sich nicht jeden Scheiß gefallen lassen. Ironie ist okay – die Grenze zum Zynismus ist fließend. Wenn es aggressiver, untergriffiger Zynismus und reine Häme ist, wird geblockt. Ich lese dann 50 Meldungen, aber dann weiß ich auch, was die nächsten 700 sind. Früher hätte ich weitergelesen, aber das senkt sich in deine Seele, das verdüstert einen inneren Ort.

Ich frage mich dann: „Was würde die Liebe tun?“ Die weist mir den Weg. Sei liebevoll zu jenen, die es nicht besser wissen. Blockiere jene, die bewusst Schmerzen zufügen wollen. Du musst nicht jeden Kampf ausfechten. Geh raus aus der Kampf-Metapher. Du hast eine Mission. Ich möchte Spiritualität mit Naturwissenschaft versöhnen. Ich will, dass wir die Weisheit verbinden mit dem Wissen. Wenn wir begreifen, dass wir Teil der Natur sind, dass das Weibliche und das Männliche in uns wohnt, dass wir unglaubliche schöpferische Geschöpfe sind, dass wir verbunden sind mit allen Erscheinungen des Lebens – dann kannst du keine Kriege führen. Dann kannst du auf Twitter nicht jeden Tag versiffte hämische Meldungen absetzen. Dann kannst du auch keinen Turbokapitalismus leben. Dann werden wir ganz viele Probleme von allein los.

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Von Mann zu Mann

Sabine: Wir brauchen die Männer für die Dekonstruktion des Patriarchats. Was kannst du aus deiner weichen männlichen Energie jetzt an diese Männer für eine Botschaft geben?

Matthias Strolz: Wir haben Gefühle und Gefühle sind immens wichtig. Sie sind wesenskonstituierend für die Spezies Mensch – Männer wie Frauen. Ein kultivierter Umgang mit Gefühlen gehört zum Reifeprozess des Menschseins. Wir sind nicht Opfer unserer Gefühle, sondern wir haben Gefühle, weil wir Menschen sind. Das ist einzigartig. Es gibt keine andere Spezies, die in dieser Form Gefühle hat. Der Gefühlshaushalt von Männern und Frauen ist ein bisschen unterschiedlich geschraubt und da sind beide auf ihre Art auch geschlechtsspezifisch gefordert. Wir müssen auch lernen, dass es in Ordnung ist, wenn etwa Aggressionen aufkommen. Wut ist nicht nur böse. Wut ist eine Emotion, die uns im besten aller Fälle in Klarheit bringt, uns aufrichtet, uns einen Energieeinsatz bringt, sodass wir auch entscheidungsfähig sind und damit handlungsfähig werden. Ich habe auch einen männlichen Coaching-Kunden, der sagt er hätte seit 30 Jahren nicht geweint. Er hat nicht einmal beim Tod seiner Mutter geweint. Es ist ihm klar, dass er darauf nicht stolz sein sollte, sondern dass ihm offensichtlich etwas fehlt hier. Dass er sich etwas abtrainiert hat. Die Emotion Trauer ist eine ganz große, öffnende Kraft. Sie führt in die Tiefe.

Magdalena: Es ist auch das Gegenteil von Depression. Depression sind oft Emotionen, die ich nach innen richte, weil ich sie nicht rauslassen kann.

Matthias Strolz: Männer dürfen nicht traurig sein, denn da sind sie schnell im Verdacht der Schwäche. Ich finde sehr spannend, dass in der taoistischen Lehre Männer mit Feuer assoziiert werden und Frauen mit Wasser. Das Wasser hat de facto natürlich die größere Macht, weil es das Feuer stillen kann. Also Taoisten sagen, damit beherrscht die Frau auch die Welt aus dem Hintergrund. Der Mann schreitet als Macher voran, aber die eigentliche Kontrolle der Welt hat die Frau aus dem Hintergrund heraus. Jetzt kann man sagen Achtung, das verhärtet stereotype Zuschreibungen patriarchaler Art. Wenn man es aber ebenbürtig sieht, dann ist es eine Arbeitsteilung. Also ich glaube, wir dürfen noch nicht alles über Bord werfen, wir sind nicht genau gleich. Ich glaube aber auch, dass die Differenzen in einem Individuum größer sind als die mittlerweile zwischen den Geschlechtern insgesamt.

Das ganze Gespräch mit Matthias Strolz könnt ihr in unserem Wild & Golden Podcast nachhören.

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