Article by Florentina Glüxam

Das patriarchale Framing der Frau: Frigide, trocken und chronische Migräne

Wir befinden uns in einer Zeit, in der immer offener über Sexualität, Vorlieben und sexuelle Orientierungen gesprochen wird. Dennoch sitzen stereotype Vorstellungen zum Thema Sexualität nach wie vor tief in unseren Köpfen. Während der Mann vor Dauerpotenz strotzt, gilt die Frau als lustlos und frigide. Woher stammen diese Klischees und enthalten sie vielleicht doch einen Funken Wahrheit?

Kurz bevor es zur Sache geht, bekommt die Frau starke Migräne. Wer diese Szene nicht aus dem eigenen Leben kennt, hat sie zumindest einmal in einer Liebeskomödie gesehen. Das ist auch ein Bild, welches uns Teile der Gesellschaft nach wie vor vermitteln: Sexuell aktive Frauen gelten als unzüchtig und deswegen sollten sie bestenfalls gar keine Lust haben. Wer keine sexuellen Bedürfnisse hat, kann keine Ansprüche stellen und wird vermutlich auch nicht fremdgehen, so die Annahme. Das Klischee zeigt außerdem, dass es gewissermaßen in der Natur der Frau liegt, wenig oder gar keine Lust auf Sex zu haben.

Slutshaming: Der Ursprung der Lustlosigkeit?

 

Unter Slutshaming versteht man das Beleidigen und Angreifen von vorwiegend weiblichen Personen aufgrund ihres Verhaltens oder optischen Erscheinungsbildes. Frauen, die sich freizügiger kleiden, wechselnde Sexualpartner:innen sowie Sex vor der Ehe haben, sind am häufigsten betroffen. Aus dem Slutshaming entstand auch das sogenannte „Victim blaming“, welches Opfern von sexuellen Übergriffen die Schuld zuweist. Eine Person, die sich knapp bekleidet, habe demnach selbst eine Vergewaltigung oder sexuelle Nötigung provoziert.

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Die Jungfräulichkeit als Ideal

 

Noch heute gilt die Jungfräulichkeit in etlichen Kulturen als höchstes Gut und Ideal. Der gesellschaftliche Zwang, seine „Unschuld“ nicht zu verlieren, betrifft allerdings – wie auch schon der Begriff verrät – vorwiegend Frauen. Nach diesem traditionellen Verständnis soll der Jungfrau eine Form der Autonomie gegenüber Männern zukommen. Denn eine unberührte Frau sei das Sinnbild der Standhaftigkeit. Wie man sich vermutlich bereits denken kann, stammen diese Ansichten nicht aus dem 21. Jahrhundert, sondern haben ihre Ursprünge im 5. bis zum 12. Jahrhundert. Umso skurriler ist, dass der Hype um die Jungfräulichkeit bei Frauen nach wie vor in den Köpfen der Menschen festgebrannt ist.

All diese Faktoren führen dazu, dass die Frau in der Gesellschaft nicht als sexuell aktives Individuum, sondern vielmehr als frigide und chronisch lustlos wahrgenommen wird. Durch die Stigmatisierung der weiblichen Sexualität fehlt bereits jungen Frauen der Mut, über ihre Bedürfnisse und Fantasien zu sprechen. Das führt wiederum zu sexueller Frustration und somit zu einem unerfüllten Sexleben.

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Ursachen für Libidoverlust

 

Wer von Libidoverlust betroffen ist, merkt das durch eine Verminderung des sexuellen Verlangens. Es kann allerdings erst von einer sexuellen Funktionsstörung gesprochen werden, wenn dieser Zustand mindestens sechs Monate anhält. Betroffene haben meist wenig oder gar kein Bedürfnis nach sexueller Aktivität. Der Libidoverlust zählt bei Frauen neben der Orgasmusstörung zu den häufigsten sexuellen Funktionsstörungen. Während der Verlust der sexuellen Lust oft nur situationsbedingt ist (z. B. nach der Geburt), handelt es sich bei der sexuellen Aversion um eine generelle Abneigung gegen sexuelle Aktivität, die meist mit Ekel oder Angst einhergeht.

Dieses Problem betrifft keineswegs nur Frauen. Auch Männer leiden unter verminderter Lust, jedoch unterscheiden sich die Ursachen zwischen den Geschlechtern. Männer leiden beispielsweise unter erektiler Dysfunktion und Testosteronmangel. Frauen hingegen sind von Vaginismus, generellen Schmerzen beim Geschlechtsverkehr und von hormonellem Ungleichgewicht betroffen, wie etwa während der Wechseljahre.

Psyche und Sexleben

 

Allerdings spielen nicht nur physische, sondern auch psychische Faktoren eine Rolle. Psychosoziale Ursachen können etwa Depressionen, ein ungesunder Lebensstil, Konflikte in der Partnerschaft, Stress und existenzielle Krisen sein. Auch Sexualmythen tragen zur Hemmung der Lust bei. Wenn alle potenziellen körperlichen Ursachen geklärt sind, müssen psychische Faktoren untersucht werden. Müdigkeit und Stress klingen oftmals nach klassischen Ausreden, doch meistens sitzt das Problem viel tiefer – nämlich in der Partnerschaft.

Männer und Frauen gehen unterschiedlich mit dem Alltagsstress um. Während Männer durch Sex Energie gewinnen können, haben Frauen häufig nichts mehr für sexuelle Aktivitäten übrig. Vor allem Müttern macht die Mehrfachbelastung durch Schwangerschaften, Kinder und Haushalt zu schaffen. Ein Großteil der Care-Arbeit bleibt leider nach wie vor an der Frau hängen und dies belastet natürlich wiederum die Partnerschaft und das Sexleben. Des Weiteren verstärkt mangelnde Kommunikation in der Beziehung die Lustlosigkeit. Beidseitige Kränkungen und Enttäuschungen erschweren es, (sexuelle) Bedürfnisse auszusprechen und aktiv am Sexleben zu arbeiten.

Der Einfluss von Schönheitsidealen auf die (weibliche) Lust

 

Es ist kein Geheimnis mehr, dass Werbungen und auch Pornos das Körperbild der Frau prägen. Der weibliche Körper ist im Laufe des Lebens vielen Veränderungen ausgesetzt und hört – entgegen großer Bemühungen der Schönheitsindustrie – auch nicht auf zu altern. Viele Frauen zweifeln daher an ihrer Attraktivität, wenn sie sich mit Models und Pornostars vergleichen, in deren Körper bereits tausende Euro investiert wurden. Auch Männer werden durch Foto- und Videomaterial geprägt. Das führt wiederum zu unrealistischen Erwartungen beim Sex. Frauen konzentrieren sich dadurch vielfach nicht auf ihre eigene Lust, sondern auf ihr Aussehen.

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Das Mysterium weiblicher Körper

 

Natürlich können auch schlechte sexuelle Erfahrungen dazu führen, dass Frauen die Lust am Akt verlieren. Dazu zählen einerseits traumatische Erlebnisse wie sexueller Missbrauch, aber auch negative Gefühle, die beispielsweise durch Schmerzen oder mangelndes Einfühlungsvermögen der Partner*innen ausgelöst werden. Eine Frau, die keine Lust auf Sex hat, ist daher nicht automatisch asexuell oder „sexualgestört“.

Im Gegensatz zum männlichen Körper stellt der weibliche für viele ein großes Rätsel dar. Das liegt einerseits an seiner Komplexität, andererseits an mangelnder Aufklärung, von der nicht nur Männer betroffen sind. Auch junge Mädchen wissen kaum über ihre eigenen Geschlechtsorgane Bescheid und lernen im Laufe ihres Erwachsenwerdens nur wenig dazu. Fast die Hälfte aller befragten Frauen der Studie „International Vaginal Dialogue Survey“ gaben an, sich von allen Körperteilen am wenigsten mit ihrer Vagina auszukennen. 28 Prozent der Teilnehmer:innen erklärten sogar, dass in ihrer Kindheit das Berühren ihres eigenen Geschlechtsorgans als „schmutzig, unsauber oder böse“ stigmatisiert wurde.

Eine Frau, die nicht weiß, was ihr gefällt und wozu ihr Körper in der Lage ist, wird ihre Bedürfnisse daher auch (zukünftigen) Sexualpartner*innen nicht mitteilen können. Die Kumulation aus fehlender Kommunikation und Unwissen beschwert dem weiblichen Geschlecht infolge natürlich keine sexuelle Erfüllung.

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Männliche Dauerpotenz?

 

Der männliche Stereotyp hat uns zwar anderes gelehrt, aber das Gerücht stimmt: Auch Männer haben keine Lust. Männliche Sexualstörungen sind gar nicht so selten und beeinflussen das Sexualleben mindestens genauso wie die vermeintliche weibliche Lustlosigkeit. Dazu zählen die erektile Dysfunktion, vorzeitige Ejakulation und – genauso wie bei Frauen – eine Verminderung der Libido. Die (fehlende) Lust wirkt sich in einer Partnerschaft natürlich auf den beziehungsweise die Partner:in aus. Da allerdings vorwiegend die weibliche Unlust thematisiert wird, wissen betroffene Männer gar nicht, dass sie mit ihrem Problem nicht alleine sind. Die Gesellschaft suggeriert uns, der Mann müsse rund um die Uhr sexuell einsatzbereit sein. Daraus resultierende Schamgefühle machen es Betroffenen fast unmöglich, mit ihrer Partner:in zu sprechen und gegebenenfalls medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Frigidität ist also keinesfalls ein rein weibliches Phänomen, obwohl sich das Wort ausschließlich auf Frauen bezieht. Auch Männer können und dürfen keine Lust haben, während Frauen alle Türen offen stehen sollten, ihr volles sexuelles Potenzial auszuschöpfen.

In der Serie “Unlearning patriarchy” verlernen wir uns beigebrachte Geschichte und lernen sie aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten. Das Schreiben einer gemeinsamen „We-Story” beginnt damit die alten Geschichten zu verlernen. Sanft, freundlich und vor allem mit dem Vorsatz wenig zu werten.

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